Warum so scheu, MyLady
rasch meinen Hut und meine Pelisse. Weißt du wirklich, wo Blanton steckt?”
“In einem Gasthof namens Crow Inn. Den hat er einmal erwähnt.”
Amelia begleitete die Geschwister noch bis zur Haustür. “Sobald Devon und Adam zurückkommen, gebe ich ihnen Bescheid.”
Nachdem die Karriole der Straße eine knappe Viertelstunde lang gefolgt war, ertönte ein lautes Miauen.
“Was zum Teufel ist das?”, fragte Nicholas.
“O nein!”, stöhnte Sarah. Wieder einmal bewegte sich die Decke zu ihren Füßen. Sie schob sie beiseite und starrte in ein gelbes Augenpaar. “Merlin, mein Kater – er fährt so gern aus.”
“Den kann ich nun wirklich nicht gebrauchen. Setz ihn ab.”
“Nein, dann würde er sich verirren”, protestierte sie. “Außerdem ist er ein Geschenk von Devon. Obwohl er Katzen nicht mag …”
Grinsend schüttelte Nicholas den Kopf. “Dann muss er bis über beide Ohren in dich verliebt sein.”
“Hoffentlich springt er nicht vom Wagen, wenn er auf fremdes Terrain gerät”, seufzte sie und zog die Decke über Merlin, der entrüstet fauchte.
Wenig später holten sie einen Pferdekarren ein, auf dem ein Korb voller Rüben stand. Nicholas rief dem verwirrten Fahrer zu, er möge anhalten, lenkte die Karriole an ihm vorbei und zügelte das Gespann. Dann reichte er seiner verdutzten Schwester die Zügel und stieg vom Sitz.
“Was hast du vor?”
Ohne zu antworten, eilte er zu dem Fahrer des Karrens und sprach mit ihm. Als er zurückkam, hielt er den Korb in der Hand. “Nimm das, Sarah.”
Erst jetzt verstand sie, was er bezweckte. “O Nicholas, das ist eine fabelhafte Idee!”
“Viel Zeit haben wir nicht. Pack deinen Merlin hinein und deck ihn zu.”
Kurzerhand verfrachtete sie den empörten Kater in dem Korb, breitete die Decke über ihn, und sie fuhren weiter.
Anderthalb Stunden später hielten sie im Hof des Crow Inn. Dort stand nur eine einzige Kutsche. Ein ausgemergelter Hund schlich umher, der ihnen kaum einen Blick gönnte. Nicholas sprang vom Sitz, und Sarah folgte ihm unbehaglich. Als sie beobachtete, wie er sein Pistole zog, wuchs ihre Angst. Da sie befürchtete, Merlin würde die Flucht ergreifen, trug sie den Korb ins Haus.
Ein misstrauischer Wirt kam ihnen entgegen. Nachdem er Sarah und Nicholas gemustert hatte, grinste er spöttisch. “Heute kann ich mich kaum vor feinen Gentlemen und ihren Ladies retten. Wahrscheinlich wollen Sie auch einen Privatsalon mieten. Oder nur ein Schlafzimmer?”
Unter Nicholas eisigem Blick erstarb das Lächeln des schäbig gekleideten Individuums. “Da irren Sie sich. Wir suchen einen Mann und eine junge Dame.”
“Habe ich nicht gesehen.”
“Wem gehört die Kutsche da draußen?”
“Welche Kutsche?”
“Ich würde gern Ihre Gäste sehen.”
“Tatsächlich?” Herausfordernd verschränkte der Wirt seine Arme vor der Brust. “Aber ich werde Ihnen nicht erlauben, die Herrschaften zu stören.”
“Nein?” Nick packte ihn am Kragen und stieß ihn gegen die Wand. “Führen Sie mich sofort zu diesen Leuten!”
Sarah hatte eine geschlossene Tür bemerkt. Hastig stellte sie den Korb auf eine Bank. “Wer ist das drin?”, rief sie.
“Hilfe! Bitte!”, hörte sie Jessica schreien.
“Still!”
Kaltes Entsetzen krampfte Sarahs Herz zusammen, als sie Blantons Stimme erkannte.
Sofort ließ ihr Bruder den Wirt los, der ein paar Sekunden lang taumelte, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand.
Entschlossen rannte Nicholas zu der Tür und stieß sie auf. Mitten im Zimmer stand Cedric Blanton, einen Arm um Jessicas Taille geschlungen, und hielt ihr ein Messer an die Kehle. Bei Nicholas’ Anblick kniff er die Augen zusammen. “Und ich dachte, Sie wären kein Spielverderber.”
In ihrer Todesangst wagte Jessica kaum zu atmen. Nicholas hob die Pistole und zielte auf Blanton. “Wenn ich auch kein Tugendbold bin – sobald unschuldige Mädchen entführt werden, hört für mich der Spaß auf. Lassen Sie Jessica los!”
“Das habe ich nicht vor”, erwiderte Blanton und lachte höhnisch. “Huntington hat sich oft genug eingemischt. Diesmal habe ich die Oberhand gewonnen. Wenn Sie beiseite treten, werden die Dame und ich unsere Reise fortsetzen. Oder Sie möchten lieber mit ansehen, wie ich ihren schönen Hals durchschneide. Werfen Sie Ihre Pistole hier herüber!”
“Glauben Sie wirklich, ich lasse Sie gehen? Eher sehen wir uns in der Hölle wieder.”
“Vielleicht schicke ich die Dame vorher in den Himmel”, spottete Blanton.
Weitere Kostenlose Bücher