Warum unsere Kinder Tyrannen werden
zu verknüpfen, um eine Erklärung für das zu haben, was sich vor den eigenen Augen abspielt.
Sie haben die Eltern angesprochen. Welche Rolle spielen diese?
Zwischen Lehrern und Eltern gibt es schon ein enormes Spannungsfeld. Ich erlebe auf der einen Seite häufig Eltern,
die mit einer arg vorgefassten Meinung zu mir ins Gespräch kommen, also etwa vorab bereits fest überzeugt sind, ihr Kind habe ADHS und müsse entsprechend therapiert werden. Meine Meinung als Lehrerin ist da gar nicht mehr gefragt. Oder es offenbart sich das andere Extrem, und die Eltern weisen alle Verantwortung und Kompetenz von sich und erwarten von mir die ultimative Lösung aller Probleme. Wenn ich diese nicht zu bieten habe, folgen Schuldzuweisungen.
Wie gehen die Eltern mit ihren Kindern um?
Ebenfalls zwiespältig. Häufig erleben wir vollkommen überzogene Strafreaktionen auf kritische Anmerkungen unsererseits. Genauso kommt es aber vor, dass wir mit Aussagen wie: »Das ist doch völlig normal« oder »Daheim ist das Kind genauso, wieso ist das unnormal« konfrontiert werden. Eine angemessene Reaktion scheint so langsam zur Ausnahme zu werden, auch, wenn es diese selbstverständlich ebenfalls gibt.
Wie reagiert die Schule auf die sinkende Leistungsbereitschaft der Schüler?
Das Niveau der Schüler ist gesunken, und die Schule passt sich dem an. Es gibt offizielle Richtlinien, die vorschreiben, wie viele Schüler einer Klasse bei einer Klassenarbeit maximal unter dem Schnitt liegen dürfen. Daran orientiert man sich als Lehrer und zieht den allgemeinen Schnitt automatisch nach oben, um die Klassenarbeiten verwertbar zu machen.
Diese Arbeiten sehen also nach auÃen besser aus, als sie sind?
Ja, sicher. Würden wir dieselben MaÃstäbe wie noch vor einigen Jahren anlegen, könnten so manche dieser Klassenarbeiten gar nicht gewertet werden.
Wie müsste Ihrer Meinung nach reagiert werden, was muss sich ändern?
Neben kleineren Klassen, so dass sich jeder Lehrer stärker um den einzelnen Schüler kümmern könnte, müsste es meiner Meinung nach angestrebt werden, an den Schulen mehr therapeutisches Fachpersonal, vor allem auch Sozialpädagogen, anzustellen. Das würde die Lehrer entlasten, diese könnten sich wieder mehr aufs Inhaltliche ihrer Fächer konzentrieren. Manchmal wäre es schon ein Anfang, die Räumlichkeiten angenehmer zu gestalten. Ãndern muss sich aber auch viel in den Elternhäusern.
Was meinen Sie?
Ich habe häufig das Gefühl, dass die Eltern überfordert sind. Ãberfordert mit der Schnelllebigkeit der Zeit, mit den Möglichkeiten im technischen und im sozialen Bereich, die gar nicht alle realisiert werden können. Die Kinder werden dann kaum noch wahrgenommen und müssen sehr schnell selbst erwachsen werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich habe eine 14-Jährige in meiner Klasse gehabt, die quasi daheim die Mutter ihrer Mutter spielen musste. Diese hat sie in alles einbezogen, sich von ihr beraten lassen, sei es in Männergeschichten, sei es bei der Autoreparatur. Das Kind wurde von ihr nur noch benutzt, um ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Zwei Jahre später, mit 16 also, ist dieses Kind selbst Mutter geworden. Kindheit hat bei diesem Mädchen aus meiner Sicht so gut wie gar nicht stattgefunden.
Inwiefern haben Sie sich während Ihrer Lehrerausbildung und Ihrer heutigen Tätigkeit als Lehrerin mit der psychischen Entwicklung von Kindern auseinandergesetzt?
Während meiner Ausbildung kann ich mich lediglich an ein einzelnes Seminar an der Uni erinnern, das sich mit dem Thema beschäftigt hat. Ansonsten war das im Grunde kein Thema. Heute versuche ich, auf eigene Faust meinen Kenntnisstand auf diesem Gebiet zu erweitern, ab und an gibt es auch ganz ansprechende Weiterbildungsangebote, die ich sehr gerne wahrnehme.
Das Interview mit Susanna Möller offenbart verschiedene Problematiken. Es spricht die elterlichen Defizite an, lässt aber auch Einblicke in die Denk- und Verhaltensweise der Lehrer zu. Auch die Tatsache der Absenkung des allgemeinen Niveaus wird hier als ganz normaler Vorgang beschrieben, der verhindert, sich den Wurzeln des Problems stellen zu müssen. Statt dessen wird nur unangemessen auf das Symptom reagiert.
Die Bereitschaft, diese eklatante Verschiebung der MaÃstäbe zu akzeptieren und ein deutlich niedrigeres Anspruchsniveau zu etablieren, hat fatale Auswirkungen auf
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