Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Bereiche wie das Berufsleben, in dem die Ansprüche in den zu vergebenden Jobs sich genau gegenteilig entwickeln, nämlich immer höher werden, sei es durch einen immer weiter steigenden Grad der Technisierung, sei es durch die Auswirkungen der Globalisierung, die mittlerweile auch die heimische Wirtschaft in den kleinsten Städten und Gemeinden erfasst hat. So sorgt etwa der Wegzug früher in ihrer Region fest verankerter Betriebe bzw. die Verlagerung von Teilen der Produktion dafür, dass Arbeitsplätze knapper werden und die Anforderungen an die Arbeitsplatzsuchenden entsprechend höher.
Mit diesen Entwicklungen kann die Qualität der nachwachsenden Arbeitskräfte immer häufiger nicht mithalten.
Eltern neigen heute vermehrt dazu, ungewöhnliches Verhalten ihrer Kinder nicht mehr als solches zu erkennen, sondern es zu verniedlichen und als alterskonform zu betrachten. Um zu verstehen, was das bedeutet, will ich einen weiteren sehr typischen Fall im Kindesalter beschreiben, der vielen Lesern dem Grundmuster nach sehr bekannt vorkommen dürfte. Dieses Mal haben wir es mit dem siebenjährigen Philipp zu tun.
Philipp
Philipp ist zwei Jahre älter als Claudia aus dem vorangegangenen Beispiel, er besucht die zweite Klasse der Grundschule und wird dort auch mit dem bei Generationen von Schülern unbeliebten Phänomen der Hausaufgaben konfrontiert.
Seine Klassenlehrerin erzählt, was passiert, wenn die Hausaufgaben in der Schule kontrolliert werden sollen: »Normalerweise fordere ich die Kinder einmal auf, ihre Mappen aus dem Schulranzen zu holen und auf den Tisch zu legen, damit ich mir die Aufgaben anschauen kann. Bei Philipp klappt das so gut wie nie nach der ersten Aufforderung. Kürzlich schaute er mich nach der Wiederholung meiner Bitte an und fragte nur âºWarum?â¹, woraufhin ich geduldig erklärte: âºWeil wir jetzt die Hausaufgaben kontrollieren. â¹ Passiert ist in diesem Moment gar nichts, keinerlei Reaktion des Siebenjährigen. Naturgemäà wird man in so einem Moment leicht ungeduldig, da ich solche Situationen kenne, bitte ich ihn aber noch ein drittes Mal, nun endlich die Mappe aus dem Tornister zu holen. Was antwortet mir dieses Kind? âºNö, keine Lust!â¹ Da ich diese Verweigerungshaltung
nicht akzeptieren will, versuche ich also weiter, Philipp dazu zu bewegen, mir seine Hausaufgaben zu zeigen. Das Resultat ist, dass das Kind aufsteht und sich ohne einen weiteren Kommentar unter den Tisch setzt. Er hat sich dann die komplette Stunde nicht dort wegbewegt, ich konnte ihn nicht dazu bringen, sich wieder hinzusetzen und in der Klasse mitzuarbeiten.
Nach diesem Erlebnis bat ich seine Mutter zu einem Gespräch, in dessen Verlauf sie mir erklärte, Philipp verhalte sich daheim genauso und sie wisse auch nicht mehr, was sie noch machen solle. Ihre Ratlosigkeit versuchte sie schlieÃlich mit der grandiosen Erkenntnis zu kaschieren, ich sei schlieÃlich die Pädagogin, müsse also die entsprechenden Rezepte in der Hosentasche haben und umsetzen.«
Philipp und die Lehrerin, überhaupt Philipp und die anderen um ihn herum - denn sein Verhalten stört ja die Abläufe innerhalb der gesamten Klasse - sind zwei ganz verschiedene Welten.
Der Siebenjährige ist erkennbar in einer Phase des frühkindlichen Narzissmus gefangen, er kennt nur sich selbst, seine Bedürfnisse im jeweiligen Moment, und ist völlig auÃerstande, auf Anforderungen der AuÃenwelt zu reagieren. Seine Verweigerungshaltung gegenüber der Lehrerin ist also keine gewollte Bösartigkeit, um diese zu verletzen, sondern Philipp erkennt schlicht in seiner Lehrerin kein Gegenüber, das für ihn von irgendeiner Bedeutung wäre.
Aus diesem Grunde hat auch die Aufforderung, seine Hausaufgaben vorzulegen, für ihn keine Bedeutung, denn er ist nicht in der Lage, die Lehrerin als Respektsperson zu erkennen. Darüber hinaus überzeugt er sich wieder und wieder davon, dass er die Lehrerin in der Hand hat, mit jedem weiteren Versuch, ihn zu etwas zu bewegen, stellt diese sich seinen Steuerungsversuchen zur Verfügung.
Wichtig in unserem Zusammenhang ist es, zu begreifen, dass es sich bei der totalen Verweigerungshaltung des Kindes keineswegs um einen bewussten Willensakt Philipps handelt, sondern um eine unbewusste, durch fehlende psychische Reife ausgelöste Handlungsweise.
Das Dilemma der Lehrerin besteht schon in der Bereitschaft,
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