Warum unsere Kinder Tyrannen werden
grundsätzlichen Probleme in der Konzentrationsfähigkeit der Schüler ansprach (für die eine zu groÃe Klassenstärke eine zusätzliche Schwierigkeit darstellt). Des Weiteren verweist er in einer wichtigen Interviewpassage auf eine Tatsache, die für die in diesem Buch dargestellten Phänomene entscheidend ist. Auf die Frage der Interviewerin, warum groÃe Klassen in den 60er-Jahren keine vergleichbaren Probleme erzeugt hätten, antwortet Haselbeck mit einem Verweis auf die »grundlegende Ãnderung der gesamten Schulsituation«. Zudem, so der Wissenschaftler, seien Kinder heute »unruhiger und mehr egozentrisch ausgerichtet«. Notwendig seien »neue Wertbezüge und Lerninhalte, die [â¦] in einer unsicheren Welt Orientierung bieten«.
Bezogen auf die angesprochene Tatsache einer Neubewertung problematischer Verhaltensweisen ist der Hinweis auf die Ãnderung der Schulsituation interessant - heiÃt dies doch nichts anderes, als dass nicht nur der erhöhte Lärmpegel heute als normal gilt, sondern auch Ansätze von Vandalismus, Renitenz der Schüler und ein insgesamt niedrigeres Niveau der Allgemeinbildung.
Schule, so kann man daraus schlieÃen und in der Realität auch entsprechende Beobachtungen machen, ist in Gefahr, sich nur noch auf die veränderte Situation einzustellen, sich auszurichten nach den Anforderungen des veränderten Schülerverhaltens. Die Messlatten bei Leistungsanforderungen und sozialem Verhalten werden verändert, und zwar im Sinne einer ständigen Anpassung nach unten. Das wird jedoch nicht auf einer Schulkonferenz beschlossen und anschlieÃend freudestrahlend verkündet, sondern es geschieht
schleichend, kaum merkbar nach auÃen, wenn man nicht das groÃe Ganze betrachtet, sondern nur im Moment lebt, so wie es bei den meisten Menschen heute der Fall ist. Für die Kinder liegt darin eine groÃe Gefahr, und die Eltern bekommen es nicht mit. Somit hat weder das Kind eine altersadäquate Förderung und Forderung noch gibt es für die Eltern eine realistische Messlatte und Orientierung; es wiegen sich letztlich alle in Sicherheit und in der Gewissheit, es sei alles in bester Ordnung.
Interview mit einer Betroffenen - Wie Lehrer Schule heute erleben
Was sich alleine in den letzten Jahren in den Schulen getan hat, erlebt naturgemäà keiner so sehr am eigenen Leibe wie die Lehrer, die im täglichen Einsatz mittlerweile oft ihre psychische und physische Gesundheit aufs Spiel setzen müssen. Im Interview erzählt Susanna Möller, Lehrerin an einer Haupt- und Realschule, von ihren Beobachtungen:
Wie hat sich das Verhalten der Schüler aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren entwickelt?
Naja, auch, wenn ich sagen würde, dass der GroÃteil meiner Schüler schon noch als normal zu bezeichnen ist, so kann ich doch auch nicht leugnen, dass die Auffälligkeiten stark zugenommen haben.
Welche Auffälligkeiten sind das vor allem?
Extrem sind etwa die Konzentrationsschwierigkeiten, damit einhergehend die unwahrscheinliche Zappeligkeit der Kinder. Vielen fällt es schwer, ja, scheint es quasi unmöglich zu
sein, auch nur für kurze Zeit ruhig an ihrem Platz zu sitzen und dem Unterricht zu folgen, sich also sowohl auf den Stoff als auch auf mich als Lehrerin zu konzentrieren.
Worauf führen Sie das zurück?
Es gibt unterschiedliche Ursachen. Wenn ich etwa sehe, dass speziell montagmorgens ganze Klassen im Grunde unfähig sind, dem Unterricht zu folgen, kann ich mir schon denken, wie das Wochenende ausgesehen haben muss. Der TV-Konsum ist enorm, gleichzeitig bleibt ausreichende Bewegung natürlich auf der Strecke. Die Kinder kommen spät ins Bett und werden dabei von den Eltern auch zu wenig kontrolliert. Die Auswirkungen haben wir dann in der Schule zu spüren.
Woher kennen Sie diese Ursachen?
Sind das Ihre Vermutungen?
Nein, das sind keine Vermutungen, sondern die Kinder erzählen das ganz selbstverständlich in der Schule. Sie empfinden es ja als völlig normal, diese Erwachsenenrechte zu besitzen und zu leben. Schwierig ist es manchmal, das Verhalten der Kinder auf diese vergleichsweise banalen Ursachen zurückzuführen, da man bei auffälligen Kindern immer sofort das Stichwort ADHS im Hinterkopf hat. Die mediale Befeuerung und auch der Druck der Eltern in dieser Hinsicht ist schon enorm, so dass man schnell verleitet wird, seine Beobachtungen mit dieser Diagnose
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