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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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Projektionsverhältnis, holen sie sich doch unbewusst die Anerkennung der Jugendlichen über die Möglichkeit, den Lehrern eines auszuwischen.
    Der Begriff des Cyberbullying lässt sich im übrigen auch auf die zunehmenden Fälle von extremer Gewalt und sexuellen Übergriffen unter Jugendlichen anwenden, die mit der Handykamera dokumentiert und anschließend online verbreitet werden. Auch hier kommen rein gegenständliche Verhaltensmuster zum Ausdruck, die die immer brutalere und im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlichere Vorgehensweise der Täter erklären. Gequält und zur Schau gestellt werden nach ihrem psychischen Empfinden Gegenstände, nicht Menschen.

Exkurs: Ein Blick in die Zukunft - Das Beispiel der japanischen Hikikomoris
    Mir geht es um die Kinder und Jugendlichen in Deutschland, um eine Antwort auf die Probleme, mit denen ich jeden Tag in steigendem Maße konfrontiert werde. Doch macht bisweilen ein Blick über den Tellerrand Sinn, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was die hier beschriebenen Entwicklungen in der Konsequenz auslösen können. Wenn dieser Blick über den Tellerrand nach Japan geht, eröffnet sich eine düstere Perspektive, die ich zwar keinesfalls als Menetekel an die deutsche Wand werfen möchte, die jedoch geeignet ist, das Bewusstsein für die Missstände im eigenen Land zu schärfen.
    Japan hat seit geraumer Zeit mit dem Problem der so genannten Hikikomoris zu kämpfen. Hikikomoris sind Jugendliche und auch junge Erwachsene, die gar nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sondern völlig abgeschottet von ihrer Umwelt in einer eigenen Welt leben. Meist beschränkt sich diese eigene Welt räumlich gesehen auf das Zimmer des Hikikomoris, im übertragenen Sinne hat diese Welt mehr oder weniger im virtuellen Raum ihren Platz, denn die meisten Hikikomoris verbringen unendlich viel Zeit vor dem Computer, sei es im Internet oder mit den verschiedensten Computerspielen. Auch der Fernseher gehört zu ihrem natürlichen Freundeskreis.
    Â»Hikikomori« bedeutet im Deutschen so viel wie »sich einschließen«, ein echtes Synonym in unserer Sprache gibt es bisher nicht. Selbst der herkömmliche »Misanthrop« bzw. »Menschenfeind« ist wohl nur eine freundliche Umschreibung, hält man sich die zerstörerische Tendenz dieses modernen Phänomens vor Augen.
    Der japanische Psychiater Saito Tamaki, der den Begriff des Hikikomoris geprägt hat, schätzt die Zahl der betroffenen
Japaner derzeit auf etwa eine Million; staatliche Stellen wie etwa das japanische Gesundheitsministerium gehen von niedrigeren Zahlen aus, keiner jedoch leugnet das Problem als solches.
    Ich will und kann an dieser Stelle nicht intensiv auf die Hintergründe dieses Phänomens eingehen, das zum Teil auch in Traditionen der japanischen Gesellschaft begründet liegt, die in der westlichen Gesellschaft keine Rolle spielen. Das Grundmuster jedoch taugt durchaus, um eine Querverbindung zur hiesigen Situation zu ziehen.
    Bezogen etwa auf die familiäre Situation gehen Fachleute davon aus, dass bei den Eltern der Hikikomoris ein Defizit hinsichtlich der Wahrnehmung des kindlichen Verhaltens und der angemessenen Reaktion darauf besteht. Schaut man sich die Verhaltensweisen der hiesigen Eltern etwa im Rahmen der Projektion an, sind die Parallelen nur zu offensichtlich. Die Rede ist auch von starken Abhängigkeitsverhältnissen zu den Eltern, speziell bezogen auf die in Japan als »Amae« bezeichnete Mutter-Sohn-Beziehung. Auch das entspricht durchaus meiner Analyse der Gründe, warum deutsche Kinder sich nicht mehr zu selbstständigen Mitgliedern der Gesellschaft entwickeln können.
    Es gilt allgemein als Gemeinsamkeit aller Hikikomoris, dass sie am Übergang aus der Kindheits- und Jugendphase ins Erwachsenenleben scheitern; die Rede ist auch von fehlenden Transformations- und Initiationsritualen der modernen japanischen Gesellschaft.
    Wie meine Analyse zeigt, hakt es auch bei unseren Kindern und Jugendlichen an den Übergängen von einer Phase zur anderen, mit dem Resultat der Fixierung in frühen psychischen Reifephasen. Den Begriff der Transformationsund Initiationsrituale kann man darüber hinaus auch dahingehend interpretieren, dass die Leitungsfunktion der Erwachsenen
gegenüber Kindern nicht mehr wahrgenommen und diesen damit die Möglichkeit genommen wird, sich normal zu

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