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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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ebenfalls nach diesem Muster ab, sehr schön beobachten lässt sich das etwa, wenn ein solches Kind beim Tischdecken helfen soll. Auf den klar formulierten Auftrag »Deck bitte den Tisch!«, den beispielsweise ein fünfjähriges, psychisch gereiftes Kind ohne große Nachfragen für seine Eltern ausführen würde, reagiert das frühkindlich-narzisstisch fixierte Kind zunächst einmal mit Nachfragen oder Widerspruch. »Warum schon wieder ich?«, wäre eine typische Frage, oder auch ständiges Ersuchen um Bestätigung, etwa »Die Messer auch?« und wenig später »Die Gabeln auch?« Im Extremfall wird der ganze Auftrag auch einfach ignoriert. Ein zweites Formulieren des gleichen Auftrages führt allerdings in den meisten Fällen dazu, dass dieser auf einmal ausgeführt wird. Den meisten Erwachsenen reicht das, da ja die Anstrengung zum Erfolg geführt hat. Sie bemerken aber dabei nicht, dass
sie sich vom Kind haben steuern lassen. Die entsprechenden Symptome werden von den Erwachsenen gar nicht wahrgenommen. Tonfall, Wortwahl, Kommentierung der Handlungsweise des Erwachsenen, all diese Dinge stimmen bei den Kindern nicht mit einem altersgemäßen Verhalten überein. Alles dient ausschließlich dazu, die Eltern zu beurteilen und zu steuern. Sie überprüfen anhand der lediglich von ihnen ausgebildeten »Nervenzelle Gegenstand« immer wieder, ob ihr menschliches Gegenüber sich auch weiterhin gegenständlich verhält. Bei älteren Kindern läuft diese Überprüfung schwerpunktmäßig verbal ab.
    Im Rahmen der Symbiose kommt es also zu einer völlig falschen Einschätzung von Kindern. Bei Problemen wird nicht abgegrenzt als Erwachsener reagiert, indem dem Kind Regeln, Strukturen und Verhaltensweisen aufgezeigt, abverlangt und immer wieder trainiert werden, damit die zugehörigen psychischen Funktionen sich bilden können.
    Es wird vielmehr darauf hinauslaufen, dass das Kind als krank empfunden wird, so wie ein nicht funktionstüchtiger Körperteil. So erklärt sich die auffällige Häufung von Krankheiten, mit denen Schulprobleme von Kindern erklärt werden sollen. Dyskalkulie, Legasthenie oder ADHS sind die absoluten Chartstürmer in den Hitlisten der Kinderkrankheiten. Die Diagnose indes wird dabei keineswegs Kinderärzten oder Psychiatern, medizinischen Experten also, überlassen, sondern erfolgt durch die Eltern selbst. Für Erstere besteht somit überhaupt keine Chance mehr, regulierend auf die Beziehungsstörungen einzuwirken. Der Besuch eines Mediziners dient den Eltern im Grunde nur noch der Selbstbestätigung, dass sie mit ihren Diagnosen richtig liegen. Bei gegenteiliger Meinung des Arztes wird reagiert, wie ich es oben beschrieben habe, immer neue Begründungen ge- und erfunden, warum die Kinder auf eine bestimmte
Art und Weise agieren und reagieren. Was das für den Arzt bedeutet, mag man sich in etwa vorstellen, wenn man sich in die Lage eines Automechanikers versetzt, der einen Wagen mit einem platten Reifen in die Werkstatt bekommt, bei dem der Kunde ihm mitteilt, er möge bitte den Motor reparieren, denn dieser sei definitiv der Grund dafür, dass er nicht mehr richtig vorankomme. Dieses Beispiel dürfte recht nah an meinem Thema sein, hält man sich die innige Beziehung vor Augen, die die Deutschen bisweilen zu ihren fahrbaren Untersätzen pflegen. Es macht auch deutlich, dass Kinder im Rahmen der Symbiose verdinglicht werden, den Status von unpersönlichen Dingen wie unselbstständigen Körperteilen oder gar Gegenständen zugewiesen bekommen.
    Es kann somit von den Eltern überhaupt nicht mehr die Erkenntnis erwartet werden, dass ihre Kinder mit voller Absicht das als krankhaft empfundene Verhalten zeigen. Sie werden nur auf ihre vorgefertigte Diagnose zugeschnittene Verhaltensmaßregeln akzeptieren. Lautet der elterliche Befund etwa auf Legasthenie, werden ausschließlich Ratschläge und Hinweise erwartet, wie man dem Kind möglichst effektiv vernünftig Lesen beibringen kann.
    Das Modell der Symbiose erklärt auch die zunehmenden Schwierigkeiten, die Lehrer und Erzieher mit Eltern haben, wenn es darum geht, gemeinsam kindlichen Auffälligkeiten auf die Spur zu kommen. Beschwerden der Kinder über Lehrer werden von in der Symbiose befindlichen Eltern in der Regel so aufgefasst werden, dass dieser Lehrer etwas falsch gemacht haben muss, weil der

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