Warum unsere Kinder Tyrannen werden
»Körperteil Kind« eben unmöglich absichtlich Unsinn machen oder für schlechte Leistungen verantwortlich sein kann. Auch der umgekehrte Fall einer Beschwerde des Lehrers wird zumeist mit einem Vorgehen gegen den Lehrer beantwortet werden.
Die Folge dieser Perspektive auf das Lehrpersonal im Speziellen und die Institution Schule im Allgemeinen ist ein zunehmender Protest gegen das Niveau der Leistungsanforderungen in der Schule. Fordernde und Struktur vorgebende Lehrer gelten dann schon mal als reaktionär, die Folge eines durch die Jahrzehnte hindurch pervertierten Autoritätsbegriffes, der ausschlieÃlich negative Konnotationen hervorruft. Diese Lehrer werden von den Eltern als kalt, abweisend und lieblos gegenüber den Kindern empfunden. Statt den Blick auf die Kinder und den eigenen Umgang mit ihnen zu richten und zusätzlich eine Diskussion über Unterrichtsmethoden, etc. zu führen, erfolgen Beschwerden bei Schulleitern und Schulaufsichtsbehörden. Entstanden ist hier ein ganz grundsätzliches Missverständnis, welches Struktur so definiert, dass damit Druck auf die Kinder aufgebaut werde, den diese nicht aushalten können. Ãbersehen wird dabei jedoch, dass es sich gerade umgekehrt verhält: Eindeutige Strukturen nämlich verlässliche Orientierung bieten und damit überflüssigen Druck von den Kindern nehmen.
Kinder genieÃen prinzipiell einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Gesetze zu ihrem Schutz gibt es viele, neue werden erdacht, und ganze Legionen von Wissenschaftlern, Pädagogen, Eltern und anderen Gruppen machen sich Gedanken darüber, wie es den Kindern am besten gehen könne. Indes: All dieses Tun ist nicht selbstlos, sondern der Sinn des Tuns definiert sich über den sichtbaren Erfolg, also selbstständige, glückliche Kinder. Dieser gewünschte Erfolg jedoch bleibt in immer gröÃerem Ausmaà aus.
Die Erkenntnis, dass die doch so geschützten Kinder nicht wie erhofft reagieren, sondern sich ganz im Gegenteil zu kleinen Monstern und Tyrannen entwickeln, deren Respektlosigkeit grenzenlos erscheint, führt allmählich zu einer
immer stärkeren Ablehnung innerhalb der Gesellschaft, also einer anderen Form von Gewalt.
Die Tendenz ist heute bereits erkennbar: Kinder werden als störend empfunden, als Belastung der Gesellschaft und werden in der Konsequenz abgelehnt. Immer häufiger tauchen in den Medien Berichte auf über Jugendliche, die »keinen Bock« haben, arbeiten zu gehen, statt dessen für ihr Recht auf Party und Selbstverwirklichung plädieren. Solche von der Gesellschaft letztlich als nichtsnutzig empfundene Jugendliche provozieren die genannte Ablehnung, ohne dass jemand in der Lage wäre zu sehen, dass die fehlende Ausbildung psychischer Funktionen wesentlich für die nicht zukunftsgerichtete Verhaltensweise verantwortlich ist. Wenn wir diesen Prozess ungehindert weiterlaufen lassen, kann das zu katastrophalen Auswirkungen für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung führen, da eine Gesellschaft, die Kinder hassen gelernt hat, in sich nicht zukunftsfähig sein kann.
Dieses Horrorszenario wird sich heute noch kaum jemand vorstellen können, doch wer da genau hinschaut, stellt bereits in den letzten Jahren eine zunehmende Diskussion über kinderfeindliche Tendenzen in der gesellschaftlichen Interaktion fest. Diese Tendenz ist in einem Umfeld, das Kindern nicht mehr länger zubilligt, wirklich Kinder sein zu können, im Grunde nicht weiter verwunderlich. So lange Kinder nicht mehr als das begriffen werden, was sie sind, so lange sie weiterhin als Erwachsene mit geringerer KörpergröÃe herangezüchtet werden, wächst die Gefahr, dass sich ein regelrechter Hass auf eigentlich kindliches Verhalten entwickelt und dem Nachwuchs jegliche Chance auf eine gesunde psychische Entwicklung vorenthalten wird.
In der heute schwelenden Diskussion ist immer noch die Ansicht dominierend, die Kinder würden ja eigentlich geliebt bzw. wären eigentlich liebenswert, und die Strukturen
der Gesellschaft seien Schuld an den Schwierigkeiten, die die »Kleinen« verursachten. Dieser ideologische Ãberbau macht es möglich, die individuelle Verantwortung von Eltern und pädagogischem Personal für die psychische Entwicklung der Kinder von der Hand zu weisen und auf die Ãnderung von politischen-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu pochen, damit es wieder aufwärts
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