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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Jorgensen sah ihn mit hasserfüllten Augen an. Schieß, dachte Martin. Er stellte sich seine Mutter vor, die ihm von oben zusah, wie der Coach gesagt hatte. Er sah Natalies Gesicht. Er hörte die raue, leise Stimme seines Vaters: Schieß. Er war wie gelähmt, spielte Ray den Puck zu, nahm abermals Anlauf.
    Die Zuschauer sahen, wie er zögerte, und begannen zu buhen. Die Verärgerung und Wut der Fans machten sich in ihren Schreien Luft, die Tribünen hallten vom feindseligen Echo. Die Uhr schien schneller abzulaufen. Martin stählte sich für den Angriff, erhaschte Rays Blick. Das Team machte ihm den Weg frei. »Konzentriere dich!«, hörte er Coach Dafoe brüllen.
    Martin sah den ergrauten Mann mit der bleichen Haut der Gefängnisinsassen; er hörte ein kleines Mädchen auf einem Balkon in Toronto vor Angst wimmern. Er dachte an seine tote Mutter, aber er sah sie nicht im Himmel, sondern in der kalten Erde begraben. Er stellte sich May vor, glühend und lebendig. Sich zu konzentrieren war ein Ding der Unmöglichkeit, aber Martin nahm die Scheibe an, die Ray ihm zuspielte, und zielte auf das Tor.
    Nils Jorgensen blockte den Schuss ab.
    Der Schluss-Buzzer ertönte; es stand 2:1.
    Martins maximale Laufgeschwindigkeit hätte bei 29,2 mph, sein härtester Schlagschuss bei 118,2 mph gelegen. So wäre es im Record-Book nachzulesen gewesen, wo die Rekorde und Ranglisten der siegreichen Spieler und Clubs für die Ewigkeit festgeschrieben wurden … wenn Martin Cartier den Stanley Cup für die Boston Bruins gewonnen hätte.
    Aber sie hatten verloren.

    *

    May war heiser vom Schreien, aber plötzlich verstummte sie. Kylie hatten einen Kriegstanz auf dem Bett aufgeführt, aber nun fiel sie auf die Knie wie eine Marionette, deren Schnüre durchtrennt worden war.
    »Mommy, er hat die Scheibe nicht ins Netz gekriegt.«
    »Nein.«
    »Hat seine Mannschaft verloren?«
    »Ja, Liebes.«
    »Oh.« Kylie blickte mit ernster Miene auf den Bildschirm.
    Gemeinsam schauten sie zu, wie die aufgebrachten Boston-Fans in Großaufnahme Becher und zusammengeknüllte Programmhefte auf das Eis feuerten. Die Kameras richteten sich auf die Oilers, die Nils Jorgensen in ihrem Siegestaumel unter sich begruben, ihn in die Luft warfen, ihn im Triumphzug auf den Schultern trugen. Als die Bruins ins Bild kamen, sahen sie Schock, Wut und Fassungslosigkeit in den Gesichtern der Verlierer.
    Martins Augen waren ausdruckslos. Sein Gesicht wirkte zerfurcht und mitgenommen, als hätte er bei Schnee und Sturm Eishockey gespielt statt bei künstlicher Beleuchtung in einem geschlossenen Stadion. Aber seine blauen Augen wirkten erloschen; sie erinnerten May an einen Hund, den sie gekannt hatte und der die meiste Zeit seines Lebens in einem Käfig eingesperrt gewesen war.
    »Ach Mommy«, wisperte Kylie.
    »Martin.« Tränen traten in Mays Augen.
    »Warum schaut er so?«
    »Ich denke, weil er sich so sehr gewünscht hat, zu gewinnen.«
    »Aber du sagst doch immer, dass es viel wichtiger ist, wie man spielt.«
    »Ich weiß. Es ist nur …« May hielt inne. Weil es Dinge im Sport und bei den Männern gab, die sie nicht begriff, wie den inneren Zwang, zu gewinnen, den sie selbst nie in diesem Maß empfunden hatte. Kylie war müde, wollte schlafen. May las ihr eine Gutenachtgeschichte vor, während sie lauschte und darauf wartete, dass das Telefon läutete.
    Er wird anrufen , dachte sie. Mir kann er sagen, was passiert ist, wie schlecht es ihm geht, und ich werde zuhören. Sie dachte daran, was sie ihm sagen würde, beschwichtigende, tröstliche Worte, die ihm Hoffnung geben sollten. Der Gedanke an Martins Enttäuschung über die Niederlage der Bruins war schmerzlich, aber in ihrem Hinterkopf klangen immer noch seine Worte nach, dass er sie heiraten wollte.
    Nicht ganz eine Stunde später, als Kylie im Bett war und der Mond die gelbe Scheune umrundet und Felder und Treibhaus mit seinem silbernen Licht übergossen hatte, läutete das Telefon.
    »Sie haben verloren«, sagte Tobin. »Bestimmt ist er am Boden zerstört.«
    »Er hat sich nicht gemeldet.«
    »Die Jungs müssen alleine sein, um ihre Wunden zu lecken. So ist das nun mal im Leben.«
    »Er hat mich gefragt …« May wollte Tobin gerade erzählen, was Martin gesagt hatte. Aber manche Dinge waren so persönlich, dass man sie nicht einmal der besten Freundin anvertrauen konnte. Also biss sie sich auf die Lippen und schwieg.
    »Er kommt schon wieder zu sich. Lass ihm Zeit. Als John bei der Beförderung übergangen

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