Was allein das Herz erkennt (German Edition)
plötzlich eiskalt. »Was haben sie gesagt?«
»Dass ich ein Bast bin und gar keinen richtigen Vater habe.« Kylies Lippe zitterte und May hörte, wie Tobin nach Luft schnappte. »Und dass du nur Martins Geld haben wolltest.«
»Wer hat das gesagt?«
»Einer von den großen Jungen, Joseph Newton. Er geht in die fünfte Klasse und hat gesagt, dass er es von seinem Vater weiß.«
»Das stimmt nicht, Kylie. Alles erstunken und erlogen.«
May nahm Kylie auf den Schoß, bis sie aufgehört hatte zu weinen und sich auf die Suche nach Tante Enid machte. Tobin trat näher, rückte einen Stuhl zu May heran.
»Er hat sie einen Bastard genannt.« May zitterte.
»Ich hab sie schon verstanden«, sagte Tobin ruhig. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich habe sie immer beschützt. Niemand kannte unsere Geschichte, und nun steht sie überall in den Zeitungen, schwarz auf weiß. Sie wissen von Gordon, wissen, dass ich nie verheiratet war …«
»Sie sollten wissen, dass du die beste Mutter bist, die man sich nur vorstellen kann. Dass Kylie für dich immer an erster Stelle stand und dass Martin Cartier sich glücklich schätzen darf.«
»Danke, Tobe.« May wischte sich über die Augen. Sie schluckte, bemüht, ihre Empfindungen, Ängste und Sorgen abzuschütteln. Ihr Leben veränderte sich rasant: Plötzlich war alles über sie bekannt und Wildfremde maßten sich das Recht an, sie nach ihrer Vergangenheit und Gegenwart zu beurteilen.
»Einen Silberstreifen gibt es trotzdem am Horizont.« Tobins Augen glitzerten boshaft.
»Und das wäre?«
»Nun, wenn die Presse Jagd auf dich macht, dann vermutlich auch auf Gordon. Ich sehe die geheiligten Hallen von Swopes and Bray geradezu vor mir, und die Reporter, die mit Kameras und Mikrofonen wie ein Heuschreckenschwarm in der Kanzlei einfallen.«
»Das wäre wirklich ein Bild für die Götter«, sagte May und schloss die Augen. Sie war froh, dass Tobin das Thema ins Lächerliche gezogen hatte. Sie war immer noch außer sich und wusste nicht, was sie tun sollte.
Später am Abend hielt May Kylie in den Armen, wartete darauf, dass sie einschlief und der Mond aufging. Sie saß im Dunkeln auf der Bettkante und die Stallkatzen hatten es sich auf der Steppdecke gemütlich gemacht, als sie Martins Wagen in der Auffahrt hörte. Er wechselte ein paar Worte mit Tante Enid, dann kam er zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf und stürmte ins Zimmer.
»Was ist heute passiert?«, wollte er wissen, noch auf der Türschwelle.
May glitt von Kylies Bett und gemeinsam gingen sie den Gang entlang in ihr Schlafzimmer.
»Jemand hat sie einen Bastard genannt. Kylie kannte das Wort nicht, aber sie hat die Bedeutung begriffen.«
»Wer?«
»Irgendein Fünftklässler. Er hat es von seinem Vater, und du kannst dir vielleicht vorstellen, was ich am liebsten mit dem Kerl machen würde.«
»Ich mache ihn platt!« Martin drückte sie aufs Bett. »Ich werde diesen Mistkerl in die Bande donnern, dass er seine Zähne einzeln herausklauben kann. Im Ernst, wie heißt er?«
»Der Junge heißt Joseph, und sein Vater ist Patrick Newton.«
»Na warte.« Martin schnappte sich das Telefon und blätterte im Telefonbuch. Er drückte die Tasten, atmete tief aus.
Als der Hörer am anderen Ende der Leitung abgenommen wurde, hielt er sich nicht mit langen Vorreden auf. »Patrick Newton? … Hier spricht Martin Cartier … Ja, sind Sie ein Fan? … Gut, dann werde ich Ihnen sagen, warum ich anrufe. Ich habe ein Kind, das in die gleiche Schule geht wie Ihr Sohn, und mir ist zu Ohren gekommen, dass Joseph sie einen Bastard genannt hat … Ja, das ist richtig, Bastard … Kinder sind eben Kinder, sagen Sie?« Martins Stimme wurde immer lauter vor Wut. »Hören Sie zu, Mr. Newton! Da, wo ich herkomme, lernen Kinder solchen Müll von ihren Eltern … Sie lernen, sich wichtig zu machen auf Kosten anderer, die zu schwach sind, um sich zu wehren … Ja, das ist richtig, ich gebe Ihnen die Schuld. Und wenn ich höre, dass so etwas noch einmal vorkommt, wird es nicht dabei bleiben, das schwöre ich Ihnen … Gut, dann wäre das geklärt. Ich warne Sie, ich möchte nie wieder hören, dass Kylie verletzt wird.«
Er legte den Hörer auf und sah May an.
»Danke«, sagte May.
»Trotz allem ein einsichtiger Mann.«
»Einen Moment lang dachte ich, du fährst hin und prügelst ihn windelweich.«
»Das hat er auch gedacht.« Martins Augen waren hart.
*
Binnen weniger Wochen, nachdem die Überraschung über Martin
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