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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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nicht aufgehört, an ihn zu denken. Was gerade zwischen ihnen auf der höckrigen Matratze geschehen war, war ebenso unentwirrbar mit ihrem ersten Blick auf ihn verbunden wie mit der Spannung, die sich wie eine Garotte um ihren Hals gelegt hatte und die sich endlich im beredten Schweigen ihres Auskleidens entlud und dann durch die hastige Kraft ihrer Umarmung erlosch. Erst jetzt rollte sein dünnes Bein von ihren Schenkeln. Sie war gerührt von der in seinem Zimmer herrschenden Atmosphäre der Vergänglichkeit und Vernachlässigung, von dem Geruch nach Staub und Zitrone – vielleicht von irgendeiner Lotion,die er benutzte, oder vielleicht von zwei tatsächlich auf einem Tisch liegenden Zitronen. Überall schien gleichzeitig Licht zu sein. Leidenschaftliche Koseworte gelangten bis zu ihren Lippen, aber sie sprach sie nicht aus. Nicht Schüchternheit ließ sie stumm bleiben. Sie versuchte, aus ihrem Bewußtsein die schmerzliche Befürchtung zu verdrängen, daß das Zimmer, abgesehen von ihrem eigenen Vorhandensein, leer war. «Francis?» flüsterte sie. Er hustete, ein Arm reichte über ihre Brüste hinweg zu einem kleinen Tisch, auf dem seine Finger eine Zigarette und ein Streichholzbriefchen fanden. Dann wurde er zurückgezogen, und die flüchtige Wärme seiner Haut verstärkte ihr Bewußtsein von Kälte, die sich über ihrem Fleisch ausbreitete. «Alles in Ordnung», murmelte er. Es hatte nicht einmal den Anschein, als rede er mit ihr.
    Er streichelte ihren Arm. Allmählich erschien auf seinen Lippen dieses vertraute, gewinnende, sympathische Lächeln.
    Am Telefon sprachen sie manchmal über Liebe. Einmal hörte sie eine außergewöhnliche Erregung in seiner Stimme; sie glaubte, ihn herumgekriegt zu haben, und sprach, plötzlich befreit von der Last eines gestaltlosen, schrecklichen Gewichts, der unschönen Form ihrer Liebesbegegnungen, ohne Scham über ihre Gefühle für ihn. Aber als sie sich wieder trafen, schien sich nichts verändert zu haben.
    Doch sie hortete im geheimen: Sie sah ihn, wenn er sie in einer Bar suchte, in der sie sich verabredet hatten und in die sie, wie üblich, zu früh kam, und sie beobachtete ihn, während er auf seinem Herd Kaffee zubereitete, bemerkte mit großer Freude seinen langen, hageren Rücken, seine leicht gekrümmten Schultern und, wenn er sich von Zeit zu Zeit umwandte, um ihr etwas zu sagen, sein scharf gezeichnetes Profil.
    Später, in einer Zeit, als es in ihren Gefühlen keinen Platz für irgend etwas außer obsessiver Erinnerung ohne Reue gab, veranlaßte sie ein perverser Wunsch, die Zärtlichkeit, die sie für ihn empfunden hatte, herabzusetzen, indem sie sich einredete, daß alles nur eine Art müder Lüsternheit der mittleren Jahre gewesen sei. Und wie sie mit der Zeit diese Liebenswürdigkeit, die ihr einst so große Freude bereitet hatte, hassen gelernt hatte! Sie war ein Kettenhemd, ein Ausdruck seiner unveränderlichen Distanz. Hinter ihr verbarg sich die Trostlosigkeit seines Lebens, seine Enttäuschung über sich selbst, sein Versagen gegenüber seiner Frau, sein wirklicher Groll über seine kleine, schmuddelige Bude und seine Selbstverachtung angesichts seiner Bemühungen, aus seinen beschränkten Möglichkeiten eine Tugend zu machen. Doch er schien nicht anders zu können – selbst seine Bitterkeit wurde irgendwie zu seinem persönlichen Vorteil gewendet. Das trug nur weiter zu seinem Geheimnis bei; es verlieh seinem Lächeln eine schwer faßbare Traurigkeit und war Teil seiner Eigenschaft, immer die
tatsächliche
Bedeutung, die hinter den Worten der Menschen lag, zu erkennen – so, als schwebe seine Seele in den Kulissen eines Theaters, stets bereit, hinauszufliegen und die Menschen inmitten des allgemeinen Bewußtseins zu umarmen.
    Einmal hatte sie ihm ein Radio gekauft. Sie hatte es ihm im Originalkarton überreicht, und während er die Heftklammern öffnete, hatte sie glücklich gelächelt, weil er gesagt hatte, er müsse sich demnächst ein Radio besorgen, weil sie ihm zuvorgekommen war und ihm beschafft hatte, was er sich wünschte. Er nahm es großzügig an; in seiner Stimme klang ein Hauch von Bewunderung – er bewunderte Aufmerksamkeit – und die Andeutung, die ganz zarte Andeutung, daß in der Regel sich niemanddarum scherte, ihm ein Geschenk zu machen, sich niemand die Mühe machte, nicht, daß ihm das etwas ausmachte. Er gehörte einfach nur zu jenen Leuten, die nichts geschenkt bekamen.
    Als Sophie eine Woche später sein Zimmer betrat, hatte

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