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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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auch, daß der Abend zumindest ein paar Tage lang eine heilsame Wirkung auf sie ausüben würde, diese ganze komprimierte Intensität, die auf ihre Verträumtheit, ihre nebulösen Sorgen prallte – Eigenschaften, die Otto, wenn sie ihn irritierte, Schläfrigkeit nannte.
    Nach einem stillosen Dinner in einem französischen Restaurant stiegen sie drei Treppen hoch und trafen Francis, der sie schon erwartete, vor seiner Tür an. Er lächelte.
    Er bot ihnen Cognac an, stellte Gläser in Reichweite, rückte Tische und Stühle zurecht und redete die ganze Zeit über freundlich und witzig über die anderen Mieter in seinem Haus und seine Junggesellenanstrengungen in bezug auf die Hausarbeit, und bevor er sich selbst setzte, legte er Sophie mit unbekümmerter Vertrautheit ein kleines Buch mit Scherenschnitten von wilden Blumen aus Neuengland auf den Schoß. Seine Stimme war dünn, ziemlich hoch und wurde hin und wieder auf fast komische Weise von einem Raucherhusten erschüttert, durch den er hindurch sprach, bis ihm die Luft ausging. Seine Beflissenheit war wie ein Kosewort; in ihr lag ein merkwürdiger Hauch von Frühreife, wie bei einem allzu gewissenhaften Kind.
    Sophie betrachtete die verkohlten Kanten des Tisches, an dem er aß. Vermutlich legte er seine Zigaretten dort ab, während er sich auf dem dreiflammigen Herd ein Kotelett briet. Eine ungewaschene Bratpfanne balancierte auf dem Rand des Abtropfgestells. Auf den Tischen stapelten sich Bücher – er sagte, er würde Regale aufstellen,wenn er einmal die Zeit dazu hätte –, vor den beiden Fenstern, die zur Straße hinaus gingen, hingen verstaubte Jalousien, dann waren da noch eine Couch, ein paar Rohrstühle und an einer Wand der Druck eines Edvard-Munch-Holzschnitts. Die Tür zur gekachelten Zelle eines Badezimmers stand offen, und Sophie konnte auf dem Toilettenspülkasten fein säuberlich ausgebreitete Rasierutensilien sehen.
    Otto erschien ihr an diesem Abend, an dem er auf leichte Art mit Francis herumblödelte, geradezu frivol. In ihrer offenkundig auf Gegenseitigkeit beruhenden Zuneigung lag etwas Geheimnisvolles. Aber ein Geheimnis braucht nicht kompliziert zu sein, dachte sie. Vielleicht war es irgend etwas Einfaches, was ihnen ein angenehmes Gefühl vermittelte, ohne sie mit Vertraulichkeit zu belasten. Otto hatte keine engen Freunde. Was die lange Verbindung mit Charlie Russel anbelangte, so hatte sich schon damals eine Art von Verdrossenheit zwischen ihnen breitgemacht. Otto hatte angefangen, über Charlie nachzudenken, und was er Sophie gesagt hatte, brachte eine zunehmende Verachtung zum Ausdruck, der er sich, wie sie glaubte, kaum bewußt gewesen war. Die Eigenschaften, die er früher an Russel bewundert hatte, rückten in den Brennpunkt seiner Mißbilligung. Was er einst als Charlies Wärme und Großzügigkeit beschrieben hatte, nannte er jetzt Impulsivität und Eitelkeit. Auf eine gewisse Weise hatte Otto, wie Sophie vermutete, sein eigenes Wesen dadurch definiert, daß er es mit dem seines alten Freundes kontrastierte. Sie waren ein gutes Gespann, hatte er immer geglaubt. Wo er dazu neigte, strikt zu sein, war Charlie flexibel; wo er nüchtern war, war Charlie phantasievoll. «Meine Güte, ständig bekleckert er sich beim Essen die Kleider», hatte er Sophie eines Abends berichtet. «Genau wie damals im College. Undich wollte immer so sein wie er! Ich habe mich dafür gehaßt, daß ich so verdammt reinlich war! Ich habe geglaubt, es sei ein Zeichen für geistige Schäbigkeit …, so pingelig zu sein.» So hatte die Erosion begonnen.
    In Kalifornien gab es einen Mann, einen Arzt, mit dem Otto eine lebhafte Korrespondenz unterhielt, obwohl er ihn selten sah, höchstens wenn in New York ein Ärztekongreß stattfand. Sophie hatte ihn bei der einzigen Gelegenheit, bei der sie ihn getroffen hatte, für einen kalten Menschen gehalten; aufgebläht mit gutsherrlichen Theorien über die Aristokratie und entsprechenden politischen Einstellungen. Doch Otto sprach mit Hochachtung von ihm, ja sogar mit Begeisterung.
    Vielleicht mochte Otto Francis, weil er so ungekünstelt freundlich war. Er war rührend. Angenehm.
    «Von Natur verstehe ich gar nichts», sagte Sophie, während sie das Buch, das er ihr gegeben hatte, durchblätterte. «Ich kenne weder den Namen von irgendeinem Käfer noch den eines Baumes noch den einer wildwachsenden Blume.»
    Francis war sofort besorgt, nachdenklich. «Jean, meiner Frau», sagte er, «sind die Dinge selbst gleichgültig,

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