Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
starr vor lauter Anstrengung bei dem Versuch, diesen illoyalen, irrationalen Gedanken zu unterdrücken. Aber das Wort löste eine Flut weiterer irrationaler Gedanken aus - etwa die Vorstellung, daß man ihr etwas vorgemacht hatte, sie dazu gebracht hatte zu glauben, die Kindheit würde ewig dauern. Auf verrückte, verworrene Art daran zu glauben. Mal ganz ehrlich: Was sie gerade fühlte, war, daß er sie betrogen hatte, mit seinem Sechs-Jahre-alt-Sein, seinem Kind-Sein hatte er sie hereingelegt; und sie spürte - sogar als Dr. Hooper die drei Eindollarnoten aus ihrer Tasche nahm und Maud noch immer mit diesen leuchtenden Augen ansah -, Maud spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Er würde sich ausbreiten, wie immer, in ihren verkrampften Bauchmuskeln brennen, in die Gelenke ausstrahlen, als heißes, zorniges Erröten ins Gesicht hinaufsteigen und sich dann zu einem harten, schmerzhaften Klumpen verdichten, von dem sie fürchtete, daß er eitern und schließlich aufplatzen würde.
    All das schoß ihr in einer Sekunde, im Bruchteil einer Sekunde, durch den Kopf. Und es war ihr, als stehe sie neben sich, neben jener Maud, die Dr. Hoopers Rechnung schrieb und dabei ein wenig die Stirn runzelte, was zum Ausdruck bringen sollte, daß sie bloß über ihre Antwort nachdachte. Sie befeuchtete die Lippen, notierte Kaffee und Kuchen, ein Dollar fünfundachtzig, und hatte Angst, daß diese Frau den unerklärlichen, mörderischen Zorn gesehen hatte, der so schnell verflog, wie er gekommen war. Langsam fügte sie die Steuer hinzu und hatte Angst, Dr. Hooper in die Augen zu sehen, die sie vielleicht durchschaut hatte, ihre sorgfältig gebügelte Schürze und das versteifte Baumwollkleid, ihre Sommersprossen, die blasse Haut und die hellen Augen durchschaut und darunter eine Frau mit all den Symptomen einer Psychopathin entdeckt. Die Frage Was denken Sie? stand noch immer im Raum, und am liebsten hätte Maud gesagt: »Ich glaube, ich wäre fähig, jemanden umzubringen, ich könnte zu den Eltern gehören, die ihre eigenen Kinder töten, und es erschreckt mich, daß ich, wär’s auch nur für einen kleinen Moment, tatsächlich in der Haut eines solchen Menschen stecken könnte und dann spüren würde, wie der Arm dieses Menschen das Messer oder die Pistole hebt«... aber, fragte sich Maud verwirrt, um auf wen loszugehen? Das Messer schien sich umzuwenden und auf ihr eigenes Herz zu zielen, die Pistole sich an ihre eigene Schläfe zu setzen. Und die mörderische Wut kehrte zurück, während sie einen Strich unter die Rechnung zog, um Kuchen, Kaffee und Steuer zusammenzuzählen - verebbte dann, wich und hinterließ den Stoff, aus dem die Depressionen sind - wie angeschwemmter Schlick für die Vögel am Strand.
    Während sie langsam Dr. Hoopers Rechnung vom Block riß und das rechteckige Durchschlagpapier wieder hineinschob, fragte sie sich, wie in Gottes Namen all das einem Menschen durch den Kopf gehen konnte, während er auf einen schmutzigweißen Rechnungszettel schrieb, auf dessen oberem Rand in verblichener blauer Tinte ein verschnörkeltes »Danke« stand?
    Sie legte die Rechnung neben Dr. Hoopers Tasse, setzte ihr leises, angedeutetes Häkchenlächeln auf, während sie den Rechnungsblock wieder in die Schürzentasche gleiten ließ und die Frage beantwortete. »Tja, ich glaube, die meisten Eltern wissen nicht, was sie fühlen und was sie tun, und vielleicht hat es mit all den Entscheidungen zu tun, die sie treffen müssen - nicht den großen, sondern den kleinen, denen, die in jeder Minute zu treffen sind, und man muß sich in einem Sekundenbruchteil entscheiden, ohne jemanden um Rat fragen zu können, und das, wo die Chancen, die richtige Entscheidung zu treffen, doch nie günstig sind, denn was man als das Beste für alle Beteiligten betrachtet, ist es oft gar nicht, weil man häufig gar nicht das Beste für alle Beteiligten will, nicht mal weiß, was das ist, nicht mal für sich selbst... Vielleicht kann ich Shirl deswegen nicht schuldig sprechen. Oder sonst jemanden.« Maud schwieg plötzlich, schloß den Mund, als schlage sie ein Türchen zu, und spürte, daß das, was sich dahinter befand - eine Flut wirrer Worte, die ungebeten und unkontrolliert wie irgendein Poltergeist aus einem Horrorfilm herausplatzten -, sie so in Aufruhr versetzte, daß sie einfach die Lippen zusammenpressen und versuchen mußte, dieses kleine Häkchenlächeln wieder darüberzukleben, damit Dr. Hooper nicht den Eindruck bekam, sie sei nun

Weitere Kostenlose Bücher