Was am See geschah
Hoopers flüchtige Blicke auf Shirl und Charlene und fragte sich, ob sie vielleicht wußte, was in ihren Köpfen vorging.
Es war immer Maud, die Dr. Hooper bediente und ein Stück Zitronenbaiserkuchen für sie aufhob, wenn er knapp wurde. Es stimmte, Shirl backte die besten Kuchen in der Gegend, wenn man von Jen Graham absah, die das Hotel drüben in Spirit Lake führte und deren Kuchen besonders beliebt war: die Füllung bestand aus einer blassen Wolke aufgeschlagener Zitronencreme, und der Teig war ein auf der Zunge zergehendes Baiser. Daß Shirl Jen Graham ihr Rezept abgebettelt hatte und dann zu behaupten begann, der Kuchen sei ihre eigene Kreation, das wußte fast jeder, wenn Shirl auch glaubte, es sei ein tiefes, dunkles Geheimnis und ein echtes Kabinettstückchen ihrerseits, Jen ein Rezept abgeschwatzt zu haben. Die großen weißen Tortenschachteln gingen im Rainbow Café weg wie warme Semmeln, wann immer ein Kunde ein Stück Zitronenbaiserkuchen zum Nachtisch gegessen hatte. Daher ging er oft aus. Sogar Chad, der eigentlich Zitronenkuchen haßte, mochte den von Shirl.
Dr. Hooper kam an jedem dritten Wochenende, freitags und samstags, ins Rainbow Café, aß ihren Kuchen, trank ihren Kaffee und schrieb ein oder zwei Postkarten, manchmal auch einen Brief. Maud amüsierte es immer wieder, zu beobachten, wie Bürgermeister Sims sich hinter Dr. Hooper herumdrückte, sich zurücklehnte und schielte, um herauszukriegen, was sie da schrieb. Dr. Hooper sorgte immer für einen mittleren Aufruhr, vielleicht weil sie für die Leute hier die »große Geheimnisvolle« war. Ihr Auftauchen in La Porte und im Rainbow war so vorhersehbar wie der Übergang vom Tag zur Nacht.
Schließlich hatte Dr. Hooper selbst vor einigen Monaten ein Gespräch begonnen. Sie hatte Maud gefragt, auf welche Universität ihr Sohn ginge. Maud war so überrascht gewesen, daß Dr. Hooper von ihrem Sohn wußte, daß ihr beim Nachschenken der Kaffee in die Untertasse geschwappt war.
Dr. Hooper sagte: »Ich hab die Wirtin« - und hier blickte sie in Shirls Richtung - »über ihn sprechen hören. Sie scheint große Stücke auf ihn zu halten.« Ihr Lächeln war verhalten; sie schien alles mit Bedacht zu tun und wirkte sogar ernst, wenn sie lächelte. »Das ist ungewöhnlich«, fügte sie hinzu, bevor sie wieder in ihr Kuchenstück stach.
Maud hielt die Kaffeekanne in die Höhe; was Dr. Hooper gesagt hatte, war für sie geheimnisvoll und unergründlich, genau das Gegenteil von Small talk, genau was sie von Dr. Elizabeth Hooper, sollte sie überhaupt einmal etwas sagen, erwartet hatte. Auf Aussagen wie »Na, das wird’n Wetterchen geben«, was Sonny Stuck an diesem Tag gesagt hatte, würde Dr. Hooper sich nicht herablassen. Dennoch, gleich mit Mauds Sohn anzufangen, das war schon ziemlich gewagt.
Maud vergaß, was sie genau gefragt hatte, und antwortete: »Oh... danke.« Und dann hatte sie, weil ihr ihre eigene Reaktion so lächerlich vorkam, hinzugefügt: »Das heißt... was ist daran ungewöhnlich?« Maud ignorierte Dodge Haines und Sunny Stuck, die ihre Tassen zum Nachschenken hochhielten. Sie hatte die Kanne wieder auf die Heizplatte gestellt und eine saubere Serviette geholt, um den verschütteten Kaffee von der Untertasse zu wischen. Dodge rief nach ihr, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. Sollte doch Charlene zu ihm hinüberscharwenzeln.
Dr. Hooper sagte: »Es ist ungewöhnlich, daß ältere Leute sich von einem kaum Zwanzigjährigen beeindrucken lassen.«
»Zwanzig. Er ist zwanzig.« Nervös begann sie, den Milchshake-Behälter zu polieren.
Dr. Hooper nickte ernst.
»Ich habe selber einen Sohn. Er ist fünfzehn. Er ist auf einer dieser teuren Privatschulen im Norden.« Sie spielte mit der Speisekarte herum. »Deswegen komme ich nach La Porte; es liegt auf meiner Route. Aber normalerweise muß ich hier übernachten, es ist eine ganz schöne Strecke. Ich wohne in der Pension unten an der Straße.«
Als wenn das nicht jeder wüßte. Mildred Stuck, die Zimmer vermietete, fühlte sich als Königin des Rainbow Cafés, weil eine New Yorker Psychiaterin bei ihr übernachtete - den Anschein hatte es jedenfalls; sie besaß sogar die Frechheit, sich mitten in Miss Ruth Portes Nische zu pflanzen und mit ihrer »Klientel« anzugeben. Aber es war klar, daß sie nicht das geringste über Dr. Hooper wußte, denn sonst hätte sie es Miss Ruth erzählt.
Mauds Mund öffnete sich, doch es kamen keine Worte heraus - so verblüfft war sie, daß Dr.
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