Was am See geschah
Ruth Porte, die so zerbrechlich und ruhig wirkte, daß es eine Schande gewesen wäre, sich nicht mit ihr unterhalten zu können, wechselte Maud kaum einen Satz mit den Gästen, nicht einmal mit Dodge Haines, der sich als der Herzensbrecher von La Porte aufführte und Frauen grundsätzlich nur von der Brust abwärts anschaute. »Man könnte meinen, meine Titten wären meine Augen«, pflegte Charlene zu sagen, allerdings in einem so wollüstigen Tonfall, daß klar war, sie genoß es. Charlene hatte ein offenherziges Lächeln und große Brüste und bot sich jedem an wie ein Obstkorb.
Ihre Schweigsamkeit (abgesehen von den Unterhaltungen über Bücher mit Miss Ruth) machte Maud mit ihrem Lächeln wett, und Mauds Lächeln war anders als das von Charlene - keine breiten roten Lippen und blitzende schneeweiße Zähne. Ihr Lächeln war kaum mehr als zwei nach oben zeigende Häkchen in den Mundwinkeln, ein schüchternes Lächeln. Sie bemühte sich, viel zu lächeln, weil sie so wenig sagte - was zumindest von Joey sehr geschätzt wurde, und auch von Dr. Elizabeth Hooper, wie Maud glaubte. Denn ansonsten würden die Leute von La Porte vielleicht annehmen, sie sei eingebildet. Wegen ihrer College-Ausbildung und der Tatsache, daß Miss Ruth Porte, die ebenfalls gebildet war und sich mit Maud über Bücher unterhalten konnte, sie so bevorzugte, fürchtete sie, die Leute könnten sie für hochmütig halten. Doch wenn Mauds Lächeln auch etwas Gezwungenes hatte, so wußte sie doch, daß es eine angenehme Wirkung auf die Menschen hatte. Ein Exfreund hatte ihr (vor hundert Jahren, als es so was für sie noch gab) gesagt, ihr Lächeln sei das schönste, das er je gesehen habe. Es sei das Lächeln eines kleinen Kindes, ja, eines Säuglings, eines Menschen, der gerade gelernt habe zu lächeln und es wirklich ernst meine. Es sei das ehrlichste Lächeln, das ihm je begegnet wäre, sagte er. Maud hatte seinen Namen, hatte diesen Jungen von der High-School vergessen; doch sie erinnerte sich an den ernsten Ausdruck in seinem Gesicht, die Mühe, die er darauf verwandt hatte, ihr Lächeln genau zu beschreiben.
Es war ein Kompliment, das sie zu ihren Erinnerungen gelegt hatte wie ein Blumenblatt in ein Buch und das sie seit dreißig Jahren immer wieder betrachtete. Chad, der ihr sagte, daß sie eher wie dreißig als wie siebenundvierzig aussähe, und Sam, der ihr (zu ihrem größten Erstaunen) einmal gestand, sich in ihrer Gesellschaft am wohlsten zu fühlen, denn sie sei heiter und gelassen wie eine Nonne (wenn sie nicht gerade wütend sei) - nur diese beiden hatten ihr je etwas ebenso Nettes gesagt. Ned hatte ihr, soweit sie sich erinnern konnte, nie ein Kompliment gemacht.
Vielleicht war es ihr »heiteres« Lächeln, das Dr. Elizabeth Hooper so warmherzig reagieren ließ. Wahrscheinlich lag es daran, daß Maud (außer Ulub und Ubub) die einzige im Rainbow war, die ihr nicht auf die eine oder andere Weise zu entlocken versucht hatte, warum sie immer wieder in La Porte Halt machte. Charlene hatte rausgekriegt, daß Dr. Hooper irgendeine Art von Psychofrau war, weil die Kusine einer Freundin einer Tante von ihr jemanden kannte, der bei ihr in Behandlung gewesen war. Behauptete Charlene zumindest.
Doch niemand konnte in Erfahrung bringen, warum sie immer wieder durch La Porte reiste und manchmal in der Pension Stuck am Ende der Hauptstraße übernachtete. Es wurde viel darüber spekuliert, ob Miss Ruth sie bestellt hatte, damit sie sich ihrer verrückten Tante Simkin annehme. Shirl, die nie eigene Angelegenheiten hatte, um die sie sich kümmern mußte, hatte immer noch ein »komisches Gefühl«, behauptete sie, wenn sie Dr. Hooper danach fragte, warum sie hier durchkam.
Es lag wohl daran, daß Frau Dr. Hooper Psychiaterin war, vermutete Maud, und daß Leute, die nie über Psychiater gelesen oder bei einem gewesen waren (wie Maud während ihrer Ehe), glaubten, sie könnten Gedanken lesen und einem wahrscheinlich auch die Seele aus dem Leib saugen. Wenn man glaubte, was Shirl über Nervenärzte erzählte, während sie über die Theke gelehnt nachdenklich eine Zigarette rauchte oder ihre Gläser polierte, war man in ihrer Umgebung ungefähr so sicher wie in der Nähe von Massenmördern oder diesem Boy Chalmers, der angeblich Nancy Alonzo und die beiden Frauen aus Hebrides ermordet hatte. Sie warf das Handtuch weg und schauderte. Man durfte gar nicht daran denken.
Sie dachte lieber wieder an Dr. Hooper. Maud beobachtete immer wieder Dr.
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