Was am See geschah
Elizabeth Hooper einen Sohn auf irgendeiner Schule hatte, genau wie sie. Sie wollte sich nach ihm erkundigen, doch ehe ihr etwas Vernünftiges einfiel, fuhr Dr. Hooper fort:
»Erwachsene - ich meine ältere Erwachsene - « und hier deutete sie wieder ein Lächeln an, um klarzustellen, daß sie damit nicht sagen wollte, Mauds Sohn sei nicht erwachsen - »haben gewöhnlich nicht viel Respekt vor den jüngeren. Vor jungen Leuten. Und ich nehme an« - wieder lächelte sie bedächtig, während ihr Blick zum Ende des Tresens und zum colatrinkenden Joey wanderte - »daß sie nur schwer zu beeindrucken ist. Von ihrem eigenen Sohn scheint sie ja ziemlich enttäuscht zu sein.«
Maud guckte erstaunt, sah zu Shirl hinüber, die sich bei einem Kunden beklagte, weil er ihr einen Zwanzigdollarschein gab, wo doch (»der verdammte Idiot mußte es doch wissen«) das Labor Day-Wochenende bevorstand und an Feiertagen das Wechselgeld so knapp war (wie Shirl sagte), sah zu Joey hinunter und blickte dann wieder Dr. Hooper an, die ihren Kaffee trank, und fragte sich, ob Shirl vielleicht am Ende doch recht hatte und Dr. Hooper Gedanken lesen konnte, wenn sie einem auch nicht die Seele stahl. Wie dumm, dachte sie. Wer nur ein Fünkchen Verstand und ein bißchen Beobachtungsgabe hatte, mußte nicht lange im Rainbow herumhängen, um zu wissen, daß Shirl von Joey »enttäuscht« war. Und diese Frau war schließlich Psychiaterin.
»Die meisten Menschen... also Eltern... ich höre selten, daß sie jungen Leuten Komplimente machen.« Dr. Hooper runzelte die Stirn über ihrer Kaffeetasse, sie schien diese Frage ernsthaft zu bedenken und fügte hinzu: »Eigentlich nie.«
Als Charlene hinter ihr vorbeistürzte und die Kaffeekanne packte (schließlich mußte Maud eigentlich die Theke bedienen), rührte sich Maud nicht von der Stelle, sondern fragte todernst: »Woran, glauben Sie, liegt das?«
»Tja... man scheint die jungen Leute nicht besonders zu respektieren. Ihre Eltern empfinden ihnen gegenüber sicher wenig Achtung, das heißt, sie sehen sie eher als Problemfälle denn als Personen. Das liegt wohl daran, daß alle sich so schuldig fühlen - die Eltern und die Kinder. Das wird hin und her geschoben, wird um den Tisch herum- und wieder zurückgereicht.« Sie stellte ihre Tasse ab und faltete die Hände vor der Brust, und ihr Ausdruck, ihre Haltung ähnelte ein wenig der einer Betenden. »Ihr Sohn muß also ziemlich außergewöhnlich sein.«
Er war ungewöhnlich; doch Maud wollte nicht gleich laut zustimmen. Aus dem Augenwinkel sah sie Shirl, die mit einem Knall die Kuchenvitrine aufgerissen hatte und sie anstarrte. Doch Shirl hätte sich eher in einen Stein verwandelt, als eine Unterhaltung mit Dr. Hooper zu unterbrechen, schließlich verging sie selber fast vor Neugier.
»Die Leute mögen ihn wohl«, sagte Maud. »Er kann wohl besser mit Erwachsenen reden als die meisten Jungen in seinem Alter. Er scheint, tja, gut mit ihnen klarzukommen, denk ich. Ich erinnere mich noch, als er, oh, sechs oder sieben war...« Das war ja lächerlich, dachte sie, während sie weiter an dem Milchshake-Behälter herumpolierte; sie konnte hier doch nicht so herumstehen und in Erinnerungen schwelgen. Und da war dieses altbekannte Gefühl, wie sich ihre Kehle zusammenzog; das wäre ja großartig, was - wenn sie als Reaktion auf eine höfliche Frage dieser Frau plötzlich zu heulen anfing? Ja, das wäre wirklich der Gipfel.
Dr. Hooper hatte ihre Mahlzeit beendet, stand aber nicht auf, sondern drehte sich ein wenig auf dem hölzernen Barhocker hin und her. Mühelos manövrierte sie die Unterhaltung auf ein allgemeineres Gebiet. »Ich will damit nicht sagen, daß nur Kinder es schwer haben.« Sie redete in einem entschuldigenden Tonfall, als mache sie und nicht Maud die Unterhaltung ein wenig mühsam. »Den Eltern geht es genauso. Eltern sind so oft zu verzweifelten Methoden gezwungen.« Sie hörte auf zu sprechen und hatte den Blick gesenkt. »Was denken Sie?«
Daß Dr. Hooper ihre Meinung tatsächlich für wichtig hielt, verblüffte Maud, und sie blickte von ihrem grotesken Spiegelbild im Aluminiumbehälter auf und in Dr. Hoopers sanfte braune Augen. Maud wippte ein wenig auf den Fersen, als würde sie von der jähen Wucht all der unbeantworteten Fragen geschüttelt, die sie in bezug auf sich und Chad hatte - der Depression, dem Gefühl des Verlusts und dem... Betrug. Das Wort rastete einfach in ihrem Hirn ein und schockierte sie. »Betrug.« Ihr Gesicht wurde
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