Was am See geschah
Windfangtür des Wohnwagens, in dem sich immer noch das Fliegengitter befand. Jener Herbst war besonders kühl gewesen, erinnerte sich Sam, die Luft roch nach Moschus, weil jemand verbotenerweise auf der anderen Seite des dumpfigen Flusses Blätter verbrannt hatte. Im Wohnwagenpark verengte sich der Fluß, als wolle er hier den Müll abstreifen: rostige Konservendosen, Butterbrotpapier und leere Spülmittelflaschen aus Plastik. Das Büro des Sheriffs hatte den Besitzer des Wohnwagenparks, Nicholas L’Amour, bereits mit mehreren Verwarnungen belegt, in denen eine Verbesserung der Zustände gefordert wurde. Aber im L’Amour-Trailerpark (ein schmutziges, gelbbraunes, mit Herzen verziertes Schild informierte über Parzellengröße, Preis und Extras - einen Kinderspielplatz zum Beispiel, dem sich nie ein Kind näherte; eine Sauna in einem Schuppen, durch dessen Bretterwände man hindurchgucken konnte) veränderte sich überhaupt nichts. Geldbeträge wechselten den Besitzer, aber der Parkeigentümer steckte seinem Verwalter nie etwas zu.
Carls Butts blieb in seinem Sessel sitzen. Er war mittelgroß, aber kräftig gebaut: große Kinnlade auf dickem Hals, breite Schultern und stämmiger Rumpf - der Typ Mann, bei dem man unwillkürlich an einen Müllkompressor denken muß: fest und kompakt, mehr, als man auf den ersten Blick sieht.
Sam vermutete, daß es eher weniger war, so wie er in seinem Fernsehsessel klebte, wie der Fleischwulst über den Gürtel hing und wie er mit weinerlicher Stimme jemandem in der Dunkelheit zurief, doch aufzumachen. Er selber saß fast in Reichweite der Tür, aber es näherte sich eine Frau. Von ihr mußte Butts wohl sein hinreißendes Äußeres und seine Überschwenglichkeit haben. Sie hatte schmale Augen und einen Mund wie ein Briefschlitz - dünn und quadratisch, schien er über jedem Wort zuzuklappen. Während Sam ihre Frage, was er hier wolle, beantwortete, sann er gemächlich darüber nach, ob der Maler Grant Wood seine ersten Studien des provinziellen Spießermilieus wohl hier im L’Amour-Trailerpark gemacht hatte; Mutter Butts sah aus, als sei sie dem Gemälde »American Gothic« entsprungen. Schließlich ließ sie ihn hinein und nahm schnell wieder den Platz vor dem Fernseher ein, so als könne Sam ihn ihr vielleicht wegnehmen.
Butts schaute kurz von der Seifenoper auf, grunzte was von seinem freien Tag und wandte den Blick wieder dem Bildschirm zu. Niemand bat Sam, sich zu setzen. Beide hatten die gleiche verwirrte Miene aufgesetzt, ausgelöst vom hirnlosen Dialog zwischen zwei jungen Ärzten und den offenen Mündern und aufgerissenen Augen zweier Krankenschwestern (die wahrscheinlich Erschütterung ausdrücken sollten, aber nur blöd wirkten). Die Butts sogen das alles mit einer solchen Anspannung auf, als ginge es um so etwas Abstraktes wie die Idee der Ordnung im »General Hospital«, als ginge es um ein intellektuelles Puzzle, das nur von einem ganzen Zimmer voller Harvard-Professoren gelöst werden konnte.
Sam verschränkte die Arme und sah eine Minute lang zu. Er hatte hie und da ein paar Fetzen davon mitgekriegt; es war Florences Lieblingsserie. Er begann, ihnen langsam etwas von ihrer Aufmerksamkeit abzuringen, indem er die Frau als »Mrs. Butts« ansprach und feststellte, daß er sich geirrt hatte.
»Grizzell. Das heißt ›Griz-zell‹, Mister, Akzent auf der zweiten Sil-be - nicht ›Grizzl‹, wie diese Zeitungen immer geschrieben haben.« Sie hatte die peitschende Stimme und den strafenden Blick jener Grundschullehrerin, die mit einer dünnen Birkenrute zwischen den Bänken der Drittkläßler auf und ab marschiert war.
Aber wenigstens hörte sie ihm einen Augenblick zu. »Mrs. Grizzell. Entschuldigen Sie. Ich hab gedacht, Sie seien Mr. Butts - Verwandte.« Er wollte nicht sagen »Mutter«, falls sich vielleicht später noch herausstellte, daß sie nicht mehr als zehn Jahre älter als Carl Butts war. »Zeitungen sind ja nicht gerade dafür bekannt, daß sie die Dinge genau nehmen. Aber man würde ihnen doch Zutrauen, daß sie wenigstens einen Namen korrekt buchstabieren können, oder?« Sam konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als ihm klar wurde, daß dies die Schwiegermutter, Loreen Grizzell Butts’ Mutter war.
Sie entspannte sich ein bißchen in ihrem Schaukelstuhl und nickte. »Sag ich doch. Aber warum kommt die Polizei jetzt noch mal? Ihr habt doch diesen Boy Chalmers, der meine Loreen umgebracht hat.« Jetzt vertiefte sie sich wieder in die Serie, wo eine
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