Was am See geschah
Eunice Hayden benutzt.
Das und nicht Neugier, ob Dodge Haines oder Winfield Sims oder irgendwelche anderen ›lockeren Kerle‹ damit zu tun hatten, brachte Sam dazu, fünfzehn Minuten hier im Dunkeln zu sitzen und Bunnys Hütte zu beobachten.
Etwa zehn Monate vor der Ermordung von Nancy Alonzo hatte man eine Frau namens Loreen Butts im Wald hinter dem Bar- und Grillrestaurant Oasis außerhalb von Hebrides gefunden. Man hatte ihr die Unterhose herabgezerrt, die Kleider zerrissen, Kehle und Bauch aufgeschlitzt. Und neun Monate vorher war Antoinette Perry auf die gleiche Weise und beinahe an der gleichen Stelle umgebracht worden. Der einzige Unterschied war, daß man Tony Perrys Leiche in einem Teil des Waldes fand, von dem nicht klar war, in wessen Zuständigkeitsbereich er gehörte. Das Bar- und Grillrestaurant Oasis lag in der Nähe der Kreisgrenze. Sedgewick hatte den Fall Perry für sich beansprucht - und dies ziemlich hitzig, wie Sam fand. Doch er mußte mit Sam Zusammenarbeiten, der nie ganz sicher war, ob er von Sedgewick wirklich alle Beweisunterlagen zu sehen bekommen hatte.
Boy Chalmers war der Hauptverdächtige im Butts-Mord gewesen. Ein hübscher junger Bursche, der mehrere Stunden vor dem Mord mit Loreen im Oasis gewesen war.
Er war ihr Freund gewesen und hatte sich mit ihr gestritten, und zwar - nach Aussage einiger Gäste - sowohl drinnen als auch draußen auf dem Parkplatz. Er hatte kein Alibi für jene paar Stunden, behauptete, nach Hause gegangen zu sein. Tja, es gab da - angeblich - ein Motiv, denn der Streit war ziemlich heftig gewesen. Boy Chalmers hätte - angeblich - genügend Zeit und die Gelegenheit gehabt, wenn man davon ausging, daß er nicht beweisen konnte, das Oasis-Grundstück verlassen zu haben. Sam war trotzdem überzeugt davon, daß ein fadenscheiniger, zurechtkonstruierter Indizienprozeß den jungen Mann hinter Gitter gebracht hatte.
Und natürlich gab es, als man Boy Chalmers den Mord an Loreen Butts in die Schuhe schob, eine Menge Gerede über Antoinette Perry. Boy stritt heftig ab, Tony Perry überhaupt zu kennen, was vielleicht ein taktischer Fehler von ihm war, da praktisch jeder Mann in Hebrides sie kannte. Dennoch gab es absolut keinen Beweis dafür, daß er die Perry doch kannte; niemand hatte ihn je unter irgendwelchen Umständen, von intimen ganz zu schweigen, mit ihr zusammen gesehen. Doch die Vorgehensweise war bei beiden Morden die gleiche, und die Tatsache, daß es keine Beweise für einen Zusammenhang zwischen Boy und Perry gab, verhinderte nicht, daß ihm auch dieser Mord zur Last gelegt wurde.
Ob Tony Perry nun locker oder verklemmt war, das stand gar nicht zur Debatte. Tony hatte eine ganze Reihe von Männern innerhalb des Zwanzigmeilenradius, der sowohl Hebrides als auch La Porte umfaßte, »begleitet« (wie sie es selber nach Aussage einiger Leute auszudrücken pflegte). Sie sah sehr gut aus - wirklich äußerst gut; tatsächlich erinnerte sie Sam, als er sie in Francis Silvers Beerdigungsinstitut liegen sah, ein wenig an seine eigene Frau Florence. Sogar als Tote hatte Tony Perry noch Hitze und Dampf verströmt, als zersetze sich ihr Körper nicht, sondern gäbe statt dessen eine sexuelle Ausdünstung von sich, die nicht einmal der Tod mindern konnte.
Tony Perry hatte zwei kleine Kinder hinterlassen, die zu guter Letzt in ein Waisenhaus im Norden des Staates gebracht wurden. Wahrscheinlich hatte das ihr Leben nicht groß verändert, denn es war bekannt, daß ihre Mutter ihnen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Einen Vater - also einen, der sich zur Vaterschaft bekannte, gab es nicht.
Loreen Butts hatte mit ihrem kleinen Sohn Raymond und ihrem Mann, der als Lkw-Fahrer viel unterwegs war, in einem Wohnwagen gelebt. Auch über Loreen gab es einiges an Klatsch, Spekulationen, daß auch sie mehr als nur einem Mann in und um Hebrides ihre Gunst geschenkt hatte. Es war weder Sams Gebiet noch sein Fall. Aber sie hatten ihn mit Boy Chalmers reden lassen, und Sam hatte bei dem Jungen - er war zwei- oder dreiundzwanzig - irgendwie das Gefühl, daß er die Wahrheit sagte. Dieses Gefühl begründete sich unter anderem darauf, daß er - trotz Chalmers Größe, seines Körperumfangs und der Golden-Boy -Ausstrahlung (daher der Spitzname; die Mutter des Jungen hatte William Holden in Golden Boy angebetet) - spürte: Der Junge war schwul. Und kämpfte erbarmungslos dagegen an; er konnte es sich nicht einmal selbst eingestehen. Die ganze Zeit, die Sam bei ihm am
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