Was am See geschah
Unterhaltung zwischen einem karamelblonden Mädchen und einer weinerlichen Frau die der Arzte abgelöst hatte.
Gleiches Gequassel, andere Leute, dachte sich Sam. »Es tut mir wirklich leid wegen Ihrer Tochter, Mrs. Grizzell. Es tut mir leid, daß ich Sie in Ihrer Trauer stören muß.«
Schmerz legte sich über ihren Blick, und sie zog ein zerknülltes Taschentuch aus dem Ärmel. Aber sie starrte noch immer auf den Bildschirm.
»Carl, biete ihm einen Stuhl an. Wie heißen Sie noch mal?« fragte sie, als Butts aufstand und einen Klappstuhl mit orangefarbener Vinylbespannung herbeizerrte. Die Farbe biß sich mit dem rosa Petunienmuster auf dem Schutzüberzug von Butts Sessel. Er grunzte, als Sam sich bedankte.
»DeGheyn«, antwortete er. »Sam.«
Ihr Blick wanderte zur Decke, zu den Spinnweben da oben, und sie wiederholte den Namen, wobei sie ihn sorgfältig im Mund herumschob. »De-Gin.«
»Tja, eher ›De-Gien‹. Langes i. Reimt sich auf ›Beguine‹, wenn Sie sich an das alte Lied erinnern.« Sam lächelte.
Als ob sie seiner Aussprache nicht ganz traute, fragte sie: »Und wie buchstabiert man das?«
»D-E-G-H-E-Y-N.«
Da war sie platt; sie hörte auf zu schaukeln, schaukelte dann aber in geradezu verwegenem Tempo wieder los, wobei sie ununterbrochen den Kopf schüttelte. »Das ist kein amerikanischer Name. Was ist das überhaupt für ein Name?« Ihre Augen verengten sich.
»Ein holländischer.« Sam lächelte und bot ihnen Zigaretten an. Sie schüttelte den Kopf, aber ihr Schwiegersohn nahm eine, während sich sein Blick weiter an das schwimmende Grünblau des Fernsehbilds klammerte. Offensichtlich hatten sie beide vergessen, daß er Polizist war. »Es ist eine komische Schreibweise, zugegeben. Und was noch komischer ist, eigentlich spricht man es ohne g aus, und mit einem langen ei -›De-Hein‹. Sie verstehen sicher, warum ich das g ausspreche.«
Sie schüttelte nur noch den Kopf vor lauter Verwunderung über diesen merkwürdigen Namen. »Hein? Hein? Ich hab noch nie einen so merkwürdigen Namen gehört, der anders klingt, als er buchstabiert wird!« Sie schüttelte erneut verwundert den Kopf. »Ja, ich versteh sehr gut, warum Sie das g aussprechen. Sind Sie Amerikaner?« Ihre Augen wurden schmal.
»In den USA geboren und aufgewachsen. Genau wie meine Eltern. Mein Urururgroßvater war Holländer.« Sam hatte keine Ahnung, ob das stimmte; die Herkunft seines Namens war in den Nebelwirbeln der Atlantiküberfahrt verlorengegangen. Allerdings hatte er herausgefunden, daß es der Name eines berühmten holländischen Malers war, doch als er an der Wand das Bild eines Zwölfenders sah, goldnes Geweih auf schwarzem Samt, dachte er sich, dieses Detail solle er sich vielleicht lieber sparen. Doch Mrs. Grizzell wirkte jetzt eh befriedigt, sie nickte und leckte sich die Lippen. Sam fuhr fort: »Und ich sag Ihnen, es nervt - also, wenn ich höre, wie ihn jemand ausspricht, der ihn gelesen hat oder bloß auf mein Namensschild guckt. Ständig muß ich die Leute korrigieren.«
Ein Leidensgenosse, sagten ihre Augen. Oh, das Problem kannte sie nur zu gut. »Carl, schalt die verdammte Kiste aus. Ich hab sowieso nicht kapiert, was diese Deppen da eigentlich wollen.«
Butts rührte sich nicht, murmelte nur etwas von »verdammte Idioten«. Er nannte sie »Ma Gris«, als sei seine Schwiegermutter ein französisches Parfüm.
Sam hatte hin und wieder fünf Minuten von dieser Serie gesehen, denn, wie gesagt, es war Florences Lieblingssendung. Durchs Wohnzimmer schlendernd, beim Reinkommen oder Rausgehen hatte er immer wieder ein paar Handlungsfetzen mitgekriegt. Jetzt zeigte er mit seiner Zigarette auf den Bildschirm und sagte: »Ich glaube, sie ist in diesen Doktor verliebt. Aber er ist verheiratet. Deswegen rauft sie sich die Haare.«
»Flittchen«, sagte Ma Gris und schaukelte, wobei sie die Arme verschränkte und mit den Händen die Ellbogen umfaßte.
»Sie ist nicht das Problem«, sagte Butts und riß eine weitere Riesendose auf. »Er - dieser Arzt oder was immer. Nehmen Sie eins?« Er hielt Sam die Bierdose hin, und Sam bedankte sich freundlich. Butts warf sie ihm zu. »Sowieso alles Arschlöcher.«
»Dann schalt doch aus. Ich will mich unterhalten mit Mr. -« Sorgfältig sprach sie »DeGheyn« aus, als sei das Wort eine zarte Porzellantasse, die unter dem Gewicht der zwei Silben zerbrechen könnte.
Sam wollte nicht, daß sie den Fernseher ausschalteten, der ihm womöglich ein Stichwort liefern würde. Er beugte
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