Was am See geschah
den Kopf in Richtung der Frauen, die neben dem Schwesternzimmer drauflosquasselten, und sagte: »Aber die da sieht aus wie die Frau im ›Denver-Clan‹.«
Ma Gris’ Kopf fuhr zum Fernseher herum; ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sei sogar dies eine verdächtige Bemerkung. »Was ist das für eine Frau?«
Sam überlegte eine Sekunde. »Angela Irgendwas!«
»Das ist nicht ›Denver-Clan‹«, sagte sie und spuckte aus.
»›Falcon Crest‹«, sagte Butts und kratzte sich am Bauch. »Sie meinen Jane Wyman. Die sieht ihr aber nicht ähnlich, oder, Ma Gris?«
Verdammt, dachte Sam. Tja, in Anbetracht der Tatsache, daß er es in seinem Leben bisher auf höchstens eine Stunde Seifenopern gebracht hatte, fand er, daß er seine Sache verdammt gut machte. Noch war nichts verloren; sollten sie doch ruhig noch Jane durchnudeln.
»Ich kann mit der Frau nichts anfangen, gar nichts«, sagte Ma Gris in vernichtend ruhigem Ton. »Wissen Sie, daß sie sich von unserem Präsidenten hat scheiden lassen?« Eine Art zischendes Flüstern unterstrich den teuflischen Charakter von Jane Wymans Verrat. »Ich will Ihnen mal was sagen.« Sie beugte sich nach vorne und tippte Sam mit einem spitzen Fingernagel aufs Knie. »Die Betty Kelleys dieser Welt, die gehören gestreckt und gevierteilt, gestreckt und gevierteilt. Denken, sie könnten die Frau von unserm Präsidenten mit Dreck bewerfen.« Ma Gris schaukelte zornig, die Arme herausfordernd über der mageren Brust verschränkt, und nickte Sam zu, als spende sie nicht ihrem eigenen, sondern seinem Urteil Beifall.
»Von was, zum Teufel, redest du da, Ma Gris? Wer ist Betty-?«
»Fluch nicht, wenn du mit mir redest, Carl Butts. Von dem blonden Flittchen red ich.«
Sam zog schnell seine Kaugummipackung heraus und schob sich einen in den Mund und räusperte sich, wobei er sich auf das zarte Fleisch an der Innenseite der Unterlippe biß. Einen Wochenlohn, einen ganzen Wochenlohn würde ich jetzt hergeben , dachte er, wenn Maud da zuhören könnte. Als er wieder zu sprechen wagte, sagte er: »Bin ganz Ihrer Meinung. Klatschtanten wie die verdienen die Peitsche.« Sein Hirn arbeitete, er überlegte fieberhaft, wie man das Thema Mord ins Gespräch einflechten könnte. Das Attentat auf Reagan könnte zwar schon reichen, aber jede vorsichtige Annäherung an die Reagans konnte, wenn Ma Gris mit von der Partie war, dazu führen, daß man da hängenblieb, bis man völlig festsaß. Und dann würde er Loreen Grizzell Butts kein Stück näherkommen.
Ein vorwurfsvolles »Flittchen« kam diesmal von Carl Butts, der nicht vergessen hatte, daß sie über das Seifenopernleben der glücklosen Jane Wyman gesprochen hatten. »Sie meinen die Falsche, Mister. Sie meinen Krystle.« Er nahm einen großen Schluck Bier und sah Sam mit überlegener Miene an.
Wer war denn Crystal? dachte er sich. Ma Gris beugte sich nach vorn. »Mit K«, sagte sie.
Sam dachte einen verrückten Augenblick lang, daß sie Gedanken lesen könne. Und dann erkannte er, daß es bloß ihre leidenschaftliche Genauigkeit bezüglich der Schreibweise von Namen war. Denver-Clan, das mußte es sein. Er lächelte breit und sagte: »Hören Sie mal, ich muß Ihnen diese Geschichte aus Denver-Clan erzählen. Sie werden sie mögen«, fügte er hinzu, als fehle anderen Menschen dazu die nötige Intelligenz. »Ich « - das hieß Florence - » gucke eines Nachmittags Fernsehen und sehe « - oh, Scheiße, wie hieß der Held bloß wieder? -, »sehe den stattlichen Graukopf rückwärts diese lange Treppe runterstürzen. Von einer Kugel getroffen -«
»Blake«, sagte sie und schaukelte hektisch hin und her, ganz Ohr.
»Genau. Blake. Tja, liegt einfach da, und da steht Miss Platinblond« - das mußte Krystle sein - »Krystle mit rauchender Kanone.«
Sowohl Butts als auch seine Schwiegermutter wollten sich offensichtlich dringend einmischen, doch Sam hielt die Hand hoch und schüttelte lächelnd den Kopf. »Aber lassen Sie mich erst zu Ende erzählen. Am gleichen Abend gucke ich wieder« - Florence, in anderen Worten »und da spaziert Blake, als wäre nichts gewesen, in der Gegend rum. Gesund und munter, nichts fehlt ihm. Aber am Nachmittag war er noch mausetot. Jedenfalls sah es so aus. Und jetzt ist da plötzlich Krystle und betütelt ihn, als wär dieser Nachmittag nie gewesen.«
Keiner von beiden lachte. Es war ein viel zu ernstes Thema, um darüber zu lästern. Sam kaute grimmig seinen Kaugummi und dachte daran, wie er zu Maud gesagt
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