Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
geringe elektrische Spannung hält Sh’san in Bereitschaft, und sobald es erforderlich wird, kann er über eine Schaltung die Stromspeicher des Schiffes anzapfen.«
»Aber was ist er? Was bist du ?«, fragte Talatashar fast flehentlich. »Ich war dabei, ein furchtbares Verbrechen zu begehen, als ihr Gespenster hereinkamt und mich davor bewahrt habt. Seid ihr imaginär? Seid ihr wirklich?«
»Das ist eine philosophische Frage. Ich bin ein Produkt der Wissenschaft. Ich weiß es nicht«, gestand der Kapitän.
»Bitte«, sagte Veesey, »könntest du uns verraten, wie es auf dich wirkt? Nicht wie es ist. Wie es wirkt.«
Der Kapitän schien in sich zusammenzufallen, als sei alle Selbstbeherrschung aus ihm gewichen – als würde er sich plötzlich schrecklich alt fühlen. »Wenn ich spreche und handle, dann fühle ich mich vermutlich wie jeder andere Raumkapitän. Wenn ich nicht mehr daran denke, dann bin ich mit einem Mal sehr verwirrt. Ich weiß, dass ich nur ein Echo in euren Gedanken bin, entstanden aus der Erfahrung und der Weisheit, die dem Würfel verliehen wurde. Deshalb nehme ich an, dass ich genau das mache, was richtige Menschen machen. Ich denke nicht sehr viel darüber nach. Ich kümmere mich um meine Arbeit.« Er reckte und streckte sich und war wieder ganz er selbst. »Um meine Arbeit«, wiederholte er.
»Und Sh’san«, fragte Trece, »was fühlst du, wenn du an ihn denkst?«
Etwas wie Ehrfurcht – fast schien es Entsetzen zu sein – glitt über das Gesicht des Kapitäns. »Er? Oh, er.« Der bewundernde Tonfall ließ seine Stimme voller klingen und in der kleinen Kabine des Raumschiffes widerhallen. »Sh’san. Er ist der Denker alles Denkenden, das Sein allen Seins, der Handelnde aller Handlungen. Er ist so mächtig, dass es eure Vorstellungskraft weit übersteigt. Er erweckt mich in euren Gedanken zum Leben. An sich ist er ein totes Mäusegehirn, das auf Plastik lamelliert wurde, und ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, wer ich bin. Nun, ich wünsche euch allen eine gute Nacht!«
Der Kapitän setzte seine Mütze auf und verschwand geradewegs durch die Wand. Veesey hastete zum Sichtfenster, aber draußen vor dem Schiff war nichts zu erkennen. Nichts. Und ganz gewiss nicht ein Kapitän.
»Was bleibt uns anderes übrig«, fragte Talatashar, »als zu gehorchen?«
Sie gehorchten. Sie kletterten in ihre Kältebetten. Talatashar schloss die Elektroden an Veesey und Trece an, bevor er sein eigenes Bett aufsuchte und sich ebenfalls präparierte. Freundlich verabschiedeten sie sich voneinander, während sich die Deckel senkten.
Sie schliefen.
VI
Am Ziel angelangt, wurden die Kapseln, die Segel und das Schiff selbst von den Bewohnern von Wereld Schemering übernommen. Sie weckten die Schläfer erst, als sich alle sicher auf dem Boden befanden.
Die drei Kabineninsassen wurden zusammen geweckt. Veesey, Trece und Talatashar waren so sehr damit beschäftigt, Fragen über den toten Segler, die reparierten Segel und ihre Schwierigkeiten auf der Reise zu beantworten, dass sie gar keine Zeit fanden, miteinander zu sprechen. Veesey bemerkte, dass Talatashar offenbar sehr gut aussah; die Hafenärzte hatten sich um sein Gesicht gekümmert, und jetzt erinnerte er an einen seltsam würdevollen, jungen alten Mann. Schließlich fand Trece Gelegenheit, einige Worte mit ihr zu wechseln.
»Leb wohl, Kindchen«, sagte er. »Geh hier eine Weile zur Schule und such dir dann einen guten Mann. Es tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«, fragte sie und fühlte Furcht in sich aufsteigen.
»Dass ich mit dir herumpoussiert habe, bevor der ganze Ärger begann. Du bist noch ein Kind. Aber du bist ein gutes Kind.« Er fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar, machte auf dem Absatz kehrt und war fort.
Und da stand sie nun, vollkommen verloren, inmitten eines fremden Zimmers. Sie wünschte, sie hätte weinen können. Wozu war sie auf der Reise überhaupt nutze gewesen ?
Unbemerkt war Talatashar an sie herangetreten.
Er reichte ihr die Hand. Sie ergriff sie.
»Bis demnächst, Kind«, sagte er.
Schon wieder Kind ?, dachte sie. Zu ihm sagte sie höflich: »Vielleicht sehen wir uns wieder. Das ist eine ziemlich kleine Welt.«
Sein Gesicht erhellte sich zu einem seltsamerweise angenehmen Lächeln. Es war solch ein wundervoller Unterschied zu der Lähmung, die bis vor kurzem noch die eine Hälfte verunstaltet hatte. Er sah gar nicht mehr alt aus, ganz und gar nicht alt.
Seine Stimme klang drängend. »Veesey, denk an
Weitere Kostenlose Bücher