Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
sah man von der dünnen gespaltenen Zunge ab, die wie eine sterbende Flamme aus dem Mund hervorzüngelte. Sie besaß wohlgeformte Schultern und Hüften, doch keine Brüste; sie trug leere goldene Büstenhalterschalen, die an ihrer Brust hin und her rutschten. Ihre Hände schienen härter als Stahl zu sein. Crawlie wollte sich Jeanne nähern, und die Schlangenfrau zischte.
Es war das Schlangenzischen der Alten Erde.
Sekundenlang hielt jeder der Tiermenschen den Atem an. Jeder richtete seine Augen auf die Schlangenfrau. Sie zischte wieder und sah Crawlie dabei starr in die Augen. Das Geräusch klang in dem engen Raum abscheulich. Elaine bemerkte, dass Jeanne wie ein kleiner Hund alle Muskeln anspannte. Charley-mein-Liebling machte den Eindruck, als sei er in der Lage, zwanzig Meter in einem einzigen Sprung zu schaffen, und Elaine selbst spürte den Impuls, zu schlagen, zu töten, zu zerstören. Das Zischen war für sie alle eine Herausforderung.
Die Schlangenfrau blickte sich sanft um, war sich völlig der Aufmerksamkeit bewusst, die sie sich verschafft hatte. »Macht euch keine Sorgen. Seht her, ich benutze Jeannes Namen für uns alle. Ich werde Crawlie nicht verletzen, solange sie Jeanne nicht verletzt. Aber wenn sie Jeanne verletzt, wenn irgendeiner Jeanne verletzt, dann wird er es mit mir zu tun bekommen. Ihr wisst, wer ich bin. Wir S-Menschen besitzen große Kraft, hohe Intelligenz und nicht die geringste Angst. Ihr wisst, dass wir uns nicht fortpflanzen können – die Menschen müssen uns einzeln herstellen, aus gewöhnlichen Schlangen. Stellt euch mir nicht in den Weg. Ich möchte mehr über diese neue Liebe erfahren, von der Jeanne spricht, und niemand wird Jeanne etwas zuleide tun, solange ich hier bin. Habt ihr mich gehört? Niemand. Versucht es, und ihr werdet sterben. Ich glaube, dass ich fast jeden von euch töten kann, bevor ich sterbe, selbst wenn ihr mich alle gleichzeitig angreift. Habt ihr mich verstanden? Lasst Jeanne in Ruhe. Das gilt auch für dich, du sanfte, menschliche Frau. Ich fürchte mich auch nicht vor dir. Du dort!« Die Schlangenfrau wandte sich an den Bärenmann. »Heb die kleine Jeanne auf und bring sie in ein ruhig gelegenes Bett. Sie muss schlafen. Sie muss eine Weile Ruhe haben. Und ihr werdet auch alle ruhig sein, ihr alle, oder ihr werdet mich kennenlernen. Mich.« Ihre schwarzen Augen huschten von Gesicht zu Gesicht.
Dann setzte sie sich in Bewegung, und die Menge teilte sich vor ihr, als ob sie das einzige Wesen aus Fleisch und Blut in einer Schar Geister wäre. Ihre Augen ruhten einen Moment auf Elaine. Elaine erwiderte den Blick, aber ihr war dabei unbehaglich zumute. Die schwarzen Augen, die weder Brauen noch Wimpern besaßen, schienen voller Intelligenz und ohne jegliches Gefühl zu sein.
Orson, der Bärenmann, folgte der Schlangenfrau gehorsam. Er hatte die kleine Jeanne auf den Armen.
Als Jeanne an Elaine vorbeigetragen wurde, versuchte sie wach zu bleiben. »Mach mich größer«, flüsterte sie. »Bitte, mach mich größer. Sofort.«
»Ich weiß nicht, wie …«, sagte Elaine.
Das Kind schüttelte sich, um ganz wach zu werden. »Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Eine Aufgabe … und vielleicht wartet der Tod auf mich. Alles wäre vergeblich, wenn ich so klein bliebe. Mach mich größer.«
»Aber …«
»Wenn du es nicht weißt, dann frage die Lady.«
»Welche Lady?«
Die S-Frau war stehen geblieben und hatte dem Gespräch zugehört. Sie mischte sich ein. »Natürlich Lady Panc Ashash. Die tote Lady. Glaubst du, dass eine lebende Lady der Instrumentalität etwas anderes mit uns tun würde, als uns zu töten?«
Während die Schlangenfrau und Orson Jeanne forttrugen, näherte sich Charley-mein-Liebling Elaine und fragte: »Willst du hingehen?«
»Wohin?«
»Zu Lady Panc Ashash.«
»Ich?«, fragte Elaine. Und eindringlicher: »Jetzt?« Und dann sagte sie (und betonte jedes Wort, als sei es unumstößlich): »Natürlich nicht. Für wen hältst du mich eigentlich? Vor einigen Stunden habe ich noch nicht einmal geahnt, dass du existierst, kannte ich noch nicht einmal das Wort ›Tod‹. Ich habe geglaubt, dass alles nach vierhundert Jahren ein Ende hat, wie es auch sein sollte. Es waren gefährliche Stunden, und die ganze Zeit über hat jeder jeden bedroht. Ich bin müde und hungrig, und ich bin schmutzig, und ich muss mich wieder in Ordnung bringen, und nebenbei …« Plötzlich verstummte sie und biss sich auf die Lippen. Sie hatte sagen wollen: ›Und
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