Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
zu ihr sprach. Erstaunt rief sie sich in Erinnerung, dass der Bär eine Brille getragen hatte.
»Was willst du denn?«, fragte sie und setzte sich auf.
»Nichts«, erwiderte der Bär mild.
»Wer bist du? Wo hast du Deutsch gelernt? Was wird mit mir geschehen?«
»Möchte das Fräulein«, erkundigte sich der Bär, »dass ich die Fragen der Reihe nach beantworte?«
»Sei nicht albern«, schalt ihn Carlotta. »Die Reihenfolge ist mir gleich. Außerdem bin ich hungrig. Hast du irgendetwas zum Essen dabei?«
Freundlich entgegnete der Bär: »Insektenlarven, wie ich sie mag, würden dir wenig gefallen. Ich habe Deutsch gelernt, indem ich deine Gedanken gelesen habe. Bären wie ich sind Freunde der Wahren Menschen, und wir sind gute Telepathen. Die Schwachsinnigen fürchten sich vor uns, und wir fürchten uns vor den Manshonyaggers … Wie dem auch sei, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, denn dein Gemahl wird bald eintreffen.«
Carlotta war hinunter zum Bach gegangen, um etwas zu trinken. Seine letzten Worte ließen sie plötzlich stehen bleiben.
»Mein Gemahl?«, fragte sie überrascht.
»Aller Voraussicht nach. Es gibt da einen Wahren Menschen namens Laird, der dich hierhergeholt hat. Er kennt bereits deine Gedanken, und ich kann seine Freude darüber erkennen, ein menschliches Wesen gefunden zu haben, das wild und fremd und doch nicht wirklich wild und fremd ist. Im Augenblick denkt er, dass du vielleicht die Jahrhunderte überwunden hast, um der Menschheit das Geschenk der Vitalität zurückzugeben. Er glaubt, dass ihr beide wundervolle Kinder haben könntet. Jetzt befiehlt er mir, dir nicht zu sagen, was er weiter denkt, aus Furcht, du könntest davonlaufen.« Der Bär kicherte.
Carlotta stand mit offenem Mund da.
»Du kannst mit zu mir kommen«, schlug der Mittelgroße Bär vor, »oder hier warten, bis Laird kommt, um dich zu holen. Auf jeden Fall wird für dich gesorgt werden. Deine Krankheit wird heilen, deine Übelkeit verschwinden. Du wirst wieder glücklich sein. Ich weiß das, weil ich einer der weisesten aller berühmten Bären bin.«
Carlotta war zornig, verwirrt, ängstlich und sofort wieder krank. Sie wollte davonlaufen.
Etwas, das so derb wie ein Hieb war, traf sie.
Sie wusste, auch ohne dass es ihr jemand gesagt hätte, dass es der Bär gewesen war, dessen Geist den ihren gefangen hielt.
Er traf sie – bumm! –, und das war alles.
Sie hatte nie zuvor darüber nachgedacht, wie behaglich der Geist eines Bären sein konnte. Er war wie ein großes, breites Bett, in dem man lag, während die Mutter sich um einen kümmerte, so dass man sich wie ein gehätscheltes kleines Kind fühlte und sicher sein konnte, bald wieder gesund zu sein.
Der Zorn verließ sie. Die Furcht verschwand. Die Krankheit begann zu verblassen. Der Morgen war wunderschön.
Sie selbst fühlte sich wunderschön, als sie sich herumdrehte …
Aus dem blauen Himmel, schnell, doch anmutig in seinem Fall, näherte sich die Gestalt eines bronzehäutigen jungen Mannes. Ein glücklicher Einfall klopfte bei ihr an: Das ist Laird, mein Geliebter. Er kommt. Er kommt. Ich werde nun für immer glücklich sein.
Es war Laird.
Und genauso geschah es.
Die Königin des Nachmittags
Mehr als nach allem anderen sehnte sie sich nach ihrer Familie, als sie langsam wach wurde. Sie rief nach ihr. »Mutti. Vati, Carlotta, Karla! Wo seid ihr?« Aber natürlich rief sie auf Deutsch, da sie ein richtiges preußisches Mädchen war. Dann kehrte die Erinnerung zurück.
Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit ihr Vater sie und ihre beiden Schwestern in den Raumkapseln untergebracht hatte? Sie wusste es nicht. Selbst ihr Vater, der Ritter vom Acht, und ihr Onkel, Professor Doktor Joachim vom Acht – der ihnen am 2. April 1945 in Parbudice die Spritzen gegeben hatte –, hatten sich nicht vorstellen können, dass die Mädchen Tausende von Jahren in einem Zustand von vorübergehender Leblosigkeit zubringen würden. Aber so war es gekommen.
Nachmittägliches Sonnenlicht ergoss sich orangefarben und golden über die dunklen, purpurfarbenen Schatten der Kampfbäume. Charls musterte die Bäume. Er wusste, dass sie in einem stillen Feuer erglühen würden, wenn sich das Orange des Sonnenunterganges in Rot verwandelte und die Dunkelheit über den östlichen Horizont kroch.
Wie lange war es her, seit man die Bäume gepflanzt hatte – Kampfbäume, wie sie von den Wahren Menschen genannt wurden –, damit ihre gewaltigen Wurzeln sich in die
Weitere Kostenlose Bücher