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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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akzeptiert werden.
    Halling nickt.
    –   Die Nationalsozialisten haben ja nicht umsonst mit hohem Aufwand Kampagnen wie die noch heute bekannten Plakat-Serien zum Thema Behinderung geschaffen: Ein blonder Hüne, der Behinderte auf einer Waagschale trägt, dazu der propagandistische Slogan »Hier trägst du mit!«
    Schließlich mußten die Nazis für ihre Politik der Ausgrenzung eine entsprechende Stimmung in der Gesellschaft schaffen, wozu sie auch pseudo-wissenschaftliche Berechnungen nutzten.
    –   Kann man den Wert eines Menschen sozusagen »unschuldig« berechnen?
    Ich will noch nicht aufgeben.
    –   Unschuldig?
    Vögele schüttelt den Kopf.
    –   Es gibt, wie schon gesagt, immer irgendwelche Prämissen. Es gibt immer Interessen oder auch eine Ideologie. Es ist immer zweckorientiert. Das bleibt aber oft unklar. Man macht das nie einfach »nur so«.
    Daß im Nationalsozialismus Menschen, die als minderwertig galten, umgebracht wurden, war der tödliche Endpunkt einer langen Radikalisierung, sagt Vögele. Der entscheidende Punkt ist, so der Medizinhistoriker, der mögliche Perspektivwechsel bei den politischen Betrachtungen und Bewertungen. Als prägnantes Beispiel mit positiven Folgen nennt er die Säuglingssterblichkeit. Die lag noch im 19. Jahrhundert bei fast 25 Prozent, was aber die Gesellschaft im Grunde nicht interessierte. Das änderte sich erst, als sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Frage nach den künftigen Soldaten und Industriearbeitern stellte.
    –   Das Problem bekam eine gesellschaftliche Relevanz mit dem Resultat, daß die Pädiatrie, die Kinderheilkunde, als eigenständiges Fach etabliert wurde. Die hat dann vermutlich Millionen Menschenleben gerettet.
    Dazu Halling mit einem negativen Beispiel:
    –   Solche Perspektivwechsel werden – zumindest in demokratischen Gesellschaften – oftmals von heftigen öffentlichen Diskussionen begleitet: Denken Sie an diesen Mißfelder und die künstliche Hüfte für über 80jährige. Die Leute, die sich exponieren, haben es heute schwer.
    Da ist er wieder, der CDU -Jungpolitiker Philipp Mißfelder. Vögele erklärt.
    –   Aber es ist natürlich auch die Frage, ob da nicht die Hemmschwelle sinkt, wenn man es oft genug hört. Solche Politiker gelten dann auch schnell als diejenigen, die »die unangenehmen Wahrheiten« aussprechen.
    –   Kann man die ethischen Aspekte bei solchen Berechnungen außen vor lassen?
    Halling schüttelt den Kopf.
    –   Nein. Das kann man nie trennen. Aber Ethik ist auch immer was Fließendes. Wenn im 19. Jahrhundert ein Forscher einen bestimmten Klonversuch unternommen hat, war das ethisch völlig inakzeptabel. Heute ist der gleiche Versuch vielleicht Standard, während andere, weitergehende Ansätze heftig umstritten sind.
    –   Aber es gibt doch auch diese privaten Rechnungen, ob ich mir jetzt ein Auto mit Airbag kaufe, also Geld in die Sicherheit meines Lebens investiere?
    –   Ja, aber das ist Ihre individuelle Entscheidung. Schwierig wird es, wenn die Zahlenkohorten sich in einen Richtwert verwandeln, aus dem dann unter Umständen eine soziale Norm gemacht wird. Da beginnt das Problem. Das heißt nicht, daß man das alles auf keinen Fall machen darf. Man muß sich aber das Risiko bewußt machen. Es gibt sicher auch volkswirtschaftliche Probleme, die mit Hilfe eines Richtwertes besser in den Griff zu bekommen sind. Aber das ist immer auch eine ethische Frage, das heißt eine Frage der gesellschaftlichen Übereinkunft. Und diese Übereinkünfte ändern sich. Davor darf man nicht die Augen verschließen.
    –   Was glauben Sie denn, reizt die Ökonomen, den Wert der Menschen zu berechnen?
    –   Die Zahlen.
    Sagt Vögele und guckt auf die Uhr.
    –   Die Zahlen sollen ein Gefühl der Nachvollziehbarkeit vermitteln. Mit Zahlen haben Sie ein nachvollziehbares Kriterium, warum ein alter Mensch keine künstliche Hüfte mehr bekommen soll. Man fragt sich ja auch, wie das heute entschieden wird.
    Vögele meint die »Budgetierung«, das heißt die unternehmerische Kalkulation ärztlicher Leistungen und die daraus entstehenden Probleme bei der, so die Medizinsoziologen, »Verteilungsgerechtigkeit«.
    –   Die Klinikärzte zum Beispiel, die immer wieder existentielle Entscheidungen treffen müssen, die hätten gerne eine verbindliche Verhaltensethik. Das Leben ist für einfache und allgemeingültige Antworten allerdings zu kompliziert.
    Wieder der Wert des Menschen im Gesundheitswesen, ein

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