Was bisher geschah
Ländern und zum Teil autoritären Regimen geprägt. Dazwischen liegen Deutschland und Russland, wo Revolutionen stattfinden, die zunächst vielversprechend erscheinen – von denen aber Terror und Krieg ausgehen werden.
In vielem ein Vorbild für Europa sind in den zwanziger Jahren die USA mit ihrem neuartigen American way of life. So bringen die Golden Twenties bei aller sozialer Ungerechtigkeit den Jazz, Walt Disneys Mickey Mouse, das Radio und Fließband mit günstig produzierten Autos wie Fords Modell T (»Tin Lizzy«), das sich immer mehr Menschen leisten können. In einer Pop-Variante des Surrealismus verkörpern Charlie Chaplin und Buster Keaton die zeittypische Atmosphäre zwischen Aufbruch und Unsicherheit in Filmen, in denen ständig Häuser einstürzen, aber mit Fantasie aus wenig viel gemacht wird. In der Literatur sind in Europa kongenial James Joyces Roman Ulysses (1922) und Franz Kafkas Das Schloss (1926). Im Alltag westlicher Länder schlägt sich die Stimmung im exzessiv getanzten Charleston nieder und in burschikoser Frauenmode mit ärmellosen Kleidern und kurzen Frisuren »à la garçonne«. Als »schwarze Venus« verzaubert Josephine Baker, mit ihrem Bananengürtel barbusig tanzend, halb Europa.
Im tendenziell reaktionären Süden beziehungsweise Südosten Europas findet eine der wenigen im Ansatz positiven Entwicklungen in der Türkei statt. Dort schafft Kemal Pascha (1881 – 1938), genannt Atatürk (»Vater der Türken«), nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches durch die Alliierten das Sultanat und Kalifat ab und wird 1923 Präsident eines laizistischen Staates. Doch Polen, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Spanien und Portugal sind in den zwanziger Jahren zwischen Demokratie und autoritären Systemen hin und her gerissen, wobei sich meist Letztere durchsetzen. In Italien gründet Benito Mussolini (1883 – 1945) 1919 die »Fasci di Combattimento« (Kampfbünde), 1921 die Partei der Faschisten. Nach seinem »Marsch auf Rom« im Oktober 1922 mit rund 40 000 Schwarzhemden ernennt ihn König Viktor Emanuel III. zum Ministerpräsidenten. Mussolinis totalitäres und außenpolitisch aggressives »neues Imperium Romanum« wird das Vorbild für Hitlers Nationalsozialismus werden. Vielen erscheint Mussolini als Garant für Ordnung, als kleineres Übel oder Schutz vor der kommunistischen Weltrevolution, die vom Osten her droht.
Von der Agentenromantik zum Terrorregime: die Russische Revolution, Lenin und Stalin
Die gesellschaftliche und kulturelle Modernisierung findet in Russland im Vergleich zum Westen verspätet statt, dafür auf besonders drastische Weise. Zwar hebt Zar Alexander II. 1861 die Leibeigenschaft auf, doch vermag er die Armut und Korruption nicht zu beseitigen. Er wird von der »Narodnaja Wolja« (russ. »Volkswille«) ermordet, radikalisierten Anhängern eines Agrarsozialismus, mit dem auch der nette Landadelige Lewin in Tolstois Roman Anna Karenina (1878) liebäugelt. Die Entstehung eines Bürgertums, einer politischen Kultur und einer Fabrikarbeiterschaft fördert die Entwicklung marxistischer Gruppen mit Leuten wie Lenin und Trotzki. Nachdem Zar Nikolaus II. die Revolution der Sowjets, der Arbeiterräte, von 1905 entschärft, indem er eine Volksvertretung (Duma) gewährt, führen in Notzeiten des Ersten Weltkrieges Arbeiter- und Soldatenaufstände 1917 doch zur Februarrevolution und zur Abdankung des Zaren.
Während sich nun eine liberale Provisorische Regierung unter Fürst Lwow mit radikalen Sowjets und gemäßigten Sozialisten wie Alexander Kerenski zu arrangieren versucht, schlägt im fernen Zürich die Stunde des Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin (1870 – 1924). Seine Selbstbezeichnung als Berufsrevolutionär steht damals noch nicht für einen realitätsfernen Spinner, sondern einen praxisorientierten Denkerhelden. Schon in Was tun? (1902) und seiner Zeitung Iskra (Der Funke) erklärt Lenin, dass eine Avantgarde, eine vorausschauende bürgerliche Intelligenzija die marxistische Revolution für die Proletarier vorantreiben müsse.
Lenins Aufstieg bietet Stoff für einen Agentenroman: Nach seiner Verbannung aus Russland sitzt er während des Ersten Weltkrieges im Exil in Zürich und brütet in seiner kargen Wohnung in der Spiegelgasse 14 Umsturzpläne für Russland aus. In derselben Straße lärmt währenddessen im dadaistischen »Cabaret Voltaire« bereits die Kunstrevolution. Finanziell wird der über 40-jährige Lenin leidlich von seiner Mutter und
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