Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
liquidiert und verspottet und von den Freunden, ja von Gott selbst völlig im Stiche gelassen wird. Dabei läuft alles schon nach Markus auf die Glaubensfrage hinaus: Sieht einer in diesem furchtbaren Tod der Schande wie die Spötter das Sterben eines irregeleiteten, gescheiterten Enthusiasten, der vergebens um Rettung nach Elija schreit? Oder wie der römische Centurio – das erste Zeugnis eines Heiden – das Sterben des Gottessohnes?
Warum er sterben mußte
Was in der Darstellung der Evangelien als Ziel und Krönung des irdischen Weges Jesu von Nazaret erscheint, mußte den Zeitgenossen als das absolute Ende erscheinen. Hatte einer mehr den Menschen verheißen als er? Und nun dieses völlige Fiasko in einem Tod von Schimpf und Schande!
Wer schon findet, alle Religionen und ihre »Stifter« seien gleich, der vergleiche ihren Tod, und er wird Unterschiede sehen: Mose, Buddha, Kung-futse, sie alle starben in hohem Alter, bei allen Enttäuschungen erfolgreich, inmitten ihrer Schüler und Anhänger, »lebenssatt« wie die Erzväter Israels. Mose starb nach der Überlieferung angesichts des verheißenen Landes inmitten seines Volkes im Alter von 120 Jahren, ohne daß seine Augen trübe geworden und seine Frische gewichen war. Buddha mit 80 Jahren friedlich im Kreis seiner Jünger an einer Lebensmittelvergiftung, nachdem er als Wanderprediger eine große Gemeinde von Mönchen, Nonnen und Laien-Anhängern gesammelt hatte. Kung-futse, im Alter schließlich nach Lu, von wo er als Justizminister vertrieben war, zurückgekehrt, nachdem er die letzten Jahre der Heranbildung einer Gruppe meist adliger Schüler, die sein Werk bewahren und fortsetzen werden, sowie der Redaktion der alten Schriften seines Volkes, die nur in seiner Redaktionsform der Nachwelt überliefert werden sollten, gewidmet hatte. Mohammed schließlich starb, nachdem er als politischer Herr Arabiens die letzten Lebensjahre gut genossen hatte, mitten in seinem Harem in den Armen seiner Lieblingsfrau.
Und nun dagegen dieser hier: ein junger Mann von 30 Jahren nach einem Wirken von maximal drei Jahren, vielleicht sogar nur wenigen Monaten. Ausgestoßen von der Gesellschaft, verraten und verleugnet von seinen Schülern und Anhängern, verspottet und verhöhnt von seinen Gegnern, von den Menschen und von Gott verlassen, stirbt einen Ritus, der zu den scheußlichsten und hintergründigsten gehört, die der Menschen erfinderische Grausamkeit zum Sterben erfunden hat.
Gegenüber der Sache, um die es hier letztlich geht, verblassen die ungeklärten historischen Fragen dieses Weges zum Kreuz als zweitrangig. Was immer der nähere Anlaß zum offenen Ausbruch des Konflikts war, welches immer die Motive des Verräters, wie immer die genauen Umstände der Verhaftung und Modalitäten des Verfahrens, wer auch die einzelnen Schuldigen, wo und wann genau die einzelnen Stationen dieses Weges, ob seine Mutter unter dem Kreuz stand (dem ältesten Evangelium zufolge nicht): Der Tod Jesu war kein Zufall, war kein tragischer Justizirrtum und auch kein reiner Willkürakt, sondern eine – die Schuld der Verantwortlichen einschließende – geschichtliche Notwendigkeit. Nur ein völliges Umdenken, eine wirkliche Metanoia der Betroffenen, ein neues Bewußtsein, eine Abkehr von der Verschlossenheit in ihr eigenes Tun, von aller gesetzlichen Selbstsicherung und Selbstrechtfertigung, und eine Umkehr in radikalem Vertrauen in den von Jesus verkündigten Gott der unbedingten Gnade und unbegrenzten Liebe hätte diese Not abwenden können.
Jesu gewaltsames Ende lag in der Logik seiner Verkündigung und seines Verhaltens . Jesu Passion war Reaktion der Hüter von Gesetz, Recht und Moral auf seine Aktion. Er hat den Tod nicht einfach passiv erlitten, sondern aktiv provoziert. Nur seine Verkündigung erklärt seine Verurteilung. Nur sein Handeln erhellt sein Leiden. Nur sein Leben und Wirken insgesamt machen deutlich, was das Kreuz dieses Einen unterscheidet von den Kreuzen jener jüdischen Widerstandskämpfer, die die Römer wenige Jahrzehnte nach Jesu Tod angesichts der Mauern der eingeschlossenen Hauptstadt massenhaft aufrichteten, aber auch von jenen 7000 Kreuzen römischer Sklaven, die man an der Via Appia nach dem gescheiterten Aufstand des (selber nicht gekreuzigten, sondern in der Schlacht gefallenen!) Spartakus aufrichtete, und überhaupt von den zahllosen großen und kleinen Kreuzen der Gequälten und Geschundenen der Weltgeschichte.
Jesu Tod war die Quittung auf sein
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