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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Leben. Aber ganz anders als – nach mißglückter Königserhebung! – jener Mord am Politiker Julius Cäsar durch Brutus, wie er von Plutarch in historischer und poetischer Neugierde aufgeschrieben und von Shakespeare ins Drama gebracht wurde. Das Sterben des gewaltlosen Jesus von Nazaret, der nach keiner politischen Macht strebte, sondern nur für Gott und seinen Willen eintrat, hat einen anderen Rang. Und die evangelische Passionsgeschichte bedarf der Umsetzung ins Drama oder in Historie nicht, sondern läßt selber in ihrer nüchternen Erhabenheit die Frage aufkommen, warum man gerade diesen in dieser grenzenlosen Weise leiden ließ.
    Nimmt man freilich nicht nur die Passionsgeschichte, sondern die Evangelien als ganze, auf deren Hintergrund die Passionsgeschichte überhaupt erst verständlich wird, so ist völlig klar, warum es so weit kam, warum er nicht durch eine Vergiftung, einen Herzschlag, einen Unfall oder durch Altersschwäche gestorben ist, sondern ermordet wurde. Oder hätte die Hierarchie diesen Radikalen, der eigenmächtig ohne Ableitung und Begründung Gottes Willen verkündete, laufenlassen sollen?
    Diesen Irrlehrer , der das Gesetz und die gesamte religiös-gesellschaftliche Ordnung vergleichgültigte und Verwirrung ins religiös und politisch unwissende Volk brachte?
    Diesen Lügenpropheten , der den Untergang des Tempels prophezeite und den ganzen Kult relativierte und gerade die traditionell Frommen zutiefst verunsicherte?
    Diesen Gotteslästerer , der in einer keine Grenzen kennenden Liebe Unfromme und moralisch Haltlose, Gesetzesbrecher und Gesetzlose in seine Gefolgschaft und Freundschaft aufgenommen hat, der so in untergründiger Gesetzes- und Tempelfeindlichkeit den hohen und gerechten Tora- und Tempelgott zu einem Gott dieser Gottlosen und Hoffnungslosen erniedrigte und in ungeheuerlicher Anmaßung sogar durch persönliche Gewährung und Verbürgung von Vergebung hier und jetzt in Gottes ureigenste souveräne Rechte eingriff?
    Diesen Volksverführer , der in Person eine beispiellose Herausforderung des gesamten gesellschaftlichen Systems, eine Provokation der Autorität, eine Rebellion gegen die Hierarchie und ihre Theologie darstellt, was alles nicht nur Verwirrung und Verunsicherung, sondern eigentliche Unruhen, Demonstrationen, ja einen neuen Volksaufstand und den jederzeit drohenden großen Konflikt mit der Besatzungsarmee und die bewaffnete Intervention der römischen Weltmacht zur Folge haben konnte?
    Der Gesetzesfeind ist – theologisch und politisch gesehen – auch ein Volksfeind! Es war durchaus nicht übertrieben, wenn nach dem oft so klarsichtigen Johannes der Hohepriester Kajefas in der entscheidenden Sitzung des Synedriums zu bedenken gab: »Ihr seid ganz ohne Einsicht und bedenkt nicht, daß es besser für euch ist, wenn ein einzelner Mensch für das Volk stirbt und nicht das ganze Volk zugrunde geht.«
    Der politische Prozeß und die Hinrichtung Jesu als eines politischen Verbrechers durch die römische Behörde waren also keineswegs nur ein Mißverständnis und ein sinnloses Schicksal, beruhend nur auf einem politischen Trick oder einer plumpen Fälschung der römischen Behörde. Ein gewisser Anlaß für die politische Anklage und Verurteilung war mit den damaligen politischen, religiösen, gesellschaftlichen Verhältnissen gegeben. Diese ließen eine simple Trennung von Religion und Politik nicht zu. Es gab weder eine religionslose Politik noch eine unpolitische Religion. Wer Unruhe in den religiösen Bereich brachte, brachte auch Unruhe in den politischen. Ein Sicherheitsrisiko stellte Jesus für die religiöse wie die politische Autorität dar. Und trotzdem : Die politische Komponente darf – soll Jesu Leben und Sterben nicht verzeichnet werden – nicht als mit der religiösen gleichrangig angesetzt werden. Der politische Konflikt mit der römischen Autorität ist nur eine (an sich nicht notwendige) Konsequenz des religiösen Konflikts mit der jüdischen Hierarchie. Hier ist genau zu unterscheiden:
    Die religiöse Anklage , daß Jesus sich gegenüber Gesetz und Tempel eine souveräne Freiheit herausgenommen, daß er die überkommene religiöse Ordnung in Frage gestellt und mit der Verkündigung der Gnade des Vatergottes und mit der persönlichen Zusage der Sündenvergebung sich eine wahrhaft unerhörte Vollmacht zugemutet hat, war eine wahre Anklage. Nach allen Evangelien erscheint sie begründet: Vom Standpunkt der traditionellen Gesetzes- und Tempelreligion her

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