Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
mußte die jüdische Hierarchie gegen den Irrlehrer, Lügenpropheten, Gotteslästerer und religiösen Volksverführer tätig werden, außer eben sie hätte eine radikale Umkehr vollzogen und der Botschaft mit allen Konsequenzen Glauben geschenkt.
Aber die politische Anklage , daß Jesus nach politischer Macht gestrebt, zur Verweigerung der Steuerzahlung an die Besatzungsmacht und zum Aufruhr aufgerufen, sich als politischer Messias-König der Juden verstanden habe, war eine falsche Anklage. Nach allen Evangelien erscheint sie als Vorwand und Verleumdung: Wie sich schon im Abschnitt über Jesus und die Revolution in allen Details ergeben hat und durch alle folgenden Kapitel hindurch bestätigt wurde, war Jesus kein aktiver Politiker, kein Agitator und Sozialrevolutionär, kein militanter Gegner der römischen Macht.
Das heißt: Jesus wurde als politischer Revolutionär verurteilt, obwohl er es nicht war! Wäre Jesus politischer gewesen, hätte er eher mehr Chancen gehabt. Die politische Anklage verdeckte den religiös bedingten Haß und »Neid« der Hierarchie und ihrer Hoftheologen. Ein Messiasprätendent zu sein war nach geltendem jüdischem Recht nicht einmal ein Verbrechen, konnte man dem Erfolg oder Mißerfolg überlassen, war aber für den Gebrauch der Römer spielend leicht in einen politischen Herrschaftsanspruch zu verdrehen. Eine solche Anklage mußte für Pilatus einleuchtend sein, war bei den damaligen Verhältnissen scheinbar berechtigt. Trotzdem war sie nicht nur zutiefst tendenziös, sondern im Kern falsch. Deshalb konnte »König der Juden« in der Gemeinde nun gerade nicht als christologischer Hoheitstitel Jesu gebraucht werden. Vom Standpunkt der römischen Macht aus mußte Pontius Pilatus gegen diesen »König der Juden« keineswegs tätig werden, und das vom Gouverneur allgemein berichtete Zögern bestätigt es. Nach den Quellen geht es denn auch beim politischen Konflikt keineswegs um eine ständige politische »Dimension« in der Geschichte Jesu. Offensichtlich erst in letzter Stunde und nicht aus eigener Initiative tritt die römische Behörde auf den Plan: nach allen Evangelien nur durch die Denunziation und gezielte politische Machenschaft der jüdischen Hierarchie auf den Plan gerufen.
Umsonst gestorben?
Für damals bedeutete der Tod Jesu: Das Gesetz hat gesiegt! Von Jesus radikal in Frage gestellt, hat es zurückgeschlagen und ihn getötet. Sein Recht ist erneut erwiesen. Seine Macht hat sich durchgesetzt. Sein Fluch hat getroffen. »Jeder, der am Holz hängt, ist von Gott verflucht«: Dieser alttestamentliche Satz für die am Pfahl nachträglich aufgehängten Verbrecher konnte auf ihn angewendet werden. Als Gekreuzigter ist er ein Gottverfluchter: für jeden Juden, noch Justins Dialog mit dem Juden Tryphon um das Jahr 150 zeigt es, ein entscheidendes Argument gegen Jesu Messianität. Sein Kreuzestod war der Vollzug des Fluches des Gesetzes .
Das widerspruchslose Leiden und hilflose Sterben in Fluch und Schande waren für die Feinde und doch wohl auch Freunde das untrügliche Zeichen, daß es mit ihm aus war und er mit dem wahren Gott nichts zu tun hatte. Er hatte unrecht, voll und ganz: mit seiner Botschaft, seinem Benehmen, seinem ganzen Wesen. Sein Anspruch ist nun widerlegt , seine Autorität dahin, sein Weg als falsch demonstriert. Wer könnte es übersehen: Verurteilt ist der Irrlehrer, desavouiert der Prophet, entlarvt der Volksverführer, verworfen der Lästerer! Das Gesetz hat über dieses »Evangelium« triumphiert: es ist nichts mit dieser »besseren Gerechtigkeit« aufgrund eines Glaubens, der sich gegen die Gesetzesgerechtigkeit aufgrund gerechter Werke stellt. Das Gesetz, dem sich der Mensch bedingungslos zu unterziehen hat, und mit ihm der Tempel ist und bleibt die Sache Gottes.
Der Gekreuzigte zwischen den beiden gekreuzigten Verbrechern ist sichtbar die verurteilte Verkörperung der Ungesetzlichkeit, Ungerechtigkeit, Gottlosigkeit: »unter die Gottlosen gerechnet«, »zur Sünde gemacht«, die personifizierte Sünde . Buchstäblich der Stellvertreter aller Gesetzesbrecher und Gesetzlosen, für die er eingetreten ist und die im Grund dasselbe Schicksal wie er verdienen: der Stellvertreter der Sünder im bösesten Sinn des Wortes! Der Hohn der Feinde erscheint ebenso begründet wie die Flucht der Freunde: Für diese bedeutet dieser Tod das Ende der mit ihm gegebenen Hoffnungen, die Widerlegung ihres Glaubens, den Sieg der Sinnlosigkeit.
Das ist das Besondere dieses
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