Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
immer wieder aufs neue dagegen anzukämpfen. Doch darf eine solche grundsätzliche Antwort nicht vergessen lassen, daß die Frage einer Manipulation der Wahrheit in der Kirche ihre spezifische Seite hat, insofern nämlich die kirchlichen Konfessionen und Definitionen ganz besondere Probleme aufgeben und besondere Schwierigkeiten machen. Wie soll man etwa – um ein nicht nur für die katholische Theologie wichtiges Beispiel zu nennen – mit einer Lehraussage wie mit dem traditionsreichen »Außerhalb der Kirche kein Heil« konstruktiv fertig werden, ohne dabei in irgendeiner Weise in die Unwahrhaftigkeit zu fallen?
Das Vatikanum II zum Beispiel hat betont, daß auch Nicht-Mitglieder der katholischen Kirche, sogar ausgesprochene Atheisten, das Heil erlangen können. Aber nirgendwo hat das Konzil das Axiom selbst ausdrücklich korrigiert. Es kann ihm insofern kein Vorwurf gemacht werden, als es nur die übliche, sogar noch relativ fortschrittliche katholische und zum Teil auch protestantische Theologie widerspiegelt. Und doch stellt sich die Frage: Manipuliert hier die Theologie nicht in unwahrhaftiger Weise die Wahrheit, wenn sie einerseits ein »Außerhalb kein Heil« proklamiert und andererseits ein »Außerhalb Heil« ausdrücklich zuläßt? Wenn sie also in der Sache das Gegenteil lehrt, die Formel aber beibehält? Und manche fragen dann: Wozu? Um eine Kontinuität zu behaupten, die faktisch nicht gegeben ist? Um ein Lehramt nicht zu desavouieren, das seine Autorität übersteigert hat?
Es wird viel darauf ankommen, daß gerade in bezug auf die kirchlichen Glaubensformulierungen – seien es die altkirchlichen Symbola, die katholischen Dogmen oder die protestantischen Bekenntnisschriften – eine unbedingte Wahrhaftigkeit zum Zuge kommt. Wie dies möglich und besser möglich ist, soll in folgenden Abgrenzungen knapp angedeutet werden.
1. Mit der Wahrhaftigkeit kollidiert leicht eine positivistische Interpretation der Bekenntnisäußerungen: Das Axiom »Außerhalb kein Heil« wird in einer positivistischen Interpretation wörtlich und buchstäblich genommen, so wörtlich und buchstäblich, wie ein Jurist ein Gesetz interpretiert und appliziert. Man fragt nicht, woher es kommt, wie es sich veränderte, ob es noch Sinn hat, wie man es besser formulieren könnte. Wie der Rechtspositivismus jedes Prinzip, das nicht dem positiven Recht entstammt, ablehnt und das bestehende Recht als Anfang und Ende von Recht und Gerechtigkeit ansieht, so nimmt der Dogmenpositivismus die offiziellen kirchlichen Dokumente als Anfang und Ende der Theologie, ja der Offenbarung und macht etwa Heinrich Denzingers Enchiridion kirchlicher Lehrentscheidungen aus dem Jahre 1854 [1991 neu im Herderverlag herausgegeben von Peter Hünermann] zu einem undiskutablen dogmatischen Gesetzbuch, das den Theologen vom kritischen Bedenken der Grundlagen weithin dispensiert und ihn dafür auf ein Sacrificium intellectus verpflichtet. Die neuscholastische Denzinger-Theologie macht denn auch den »Denzinger« [»Hünermann«] faktisch zum Schema für den Aufbau der gesamten Dogmatik. Sie erstellt von jenen vorgeschriebenen oder verurteilten Sätzen her einen langen Kanon von Thesen, der von der alt- und neutestamentlichen Botschaft her eine höchst willkürliche, tendenziöse Auswahl darstellt. Was hineinpaßt, gilt als kirchlich. Was nicht hineinpaßt, gilt als unkirchlich oder belanglos. Sowohl vom vielleicht ganz anders gelagerten Ursprung wie von der ganzen komplexen Geschichte wie schließlich von der gegenwärtig bestimmenden Situation und von der heraufzuführenden besseren Zukunft wird abgesehen. Man kümmert sich nicht darum, daß manche Termini von den Menschen dieses Zeitalters nicht mehr verstanden werden, daß die exegetische Basis für manche Sätze überholt ist, daß viele Beweise als unglaubwürdig und manche Antworten auf Schwierigkeiten als geschickte Spiegelfechtereien erscheinen. Man kümmert sich nicht um die konkrete Lage der Verkündigung. Man läßt die Prediger und Katecheten im Stich, gibt ihnen Steine statt Brot und läßt sie ihre Nahrung finden, wo sie sie gerade finden können. So regiert nur zu oft der starre Buchstabe statt der Geist, und bei einer rasch sich wandelnden Wirklichkeit versagt schließlich die mechanische Anwendung der Glaubensgesetze und führt zu einer Krisis des Glaubens in seiner Wahrheit und in seiner Wahrhaftigkeit.
Der amerikanische Jesuit P. Feenay mit seiner Gruppe hat sich getreu an diese Prinzipien
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