Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
päpstliche Primat weniger als Ehren- oder Jurisdiktionsprimat denn vielmehr als Pastoral- oder Seelsorgeprimat im Dienst an der Einheit der Gesamtkirche verstanden wird;
• die päpstliche Unfehlbarkeit als Zeugnis- und Verkündigungsaufgabe im Dienst an der »Infallibilität« oder besser »Indefektibilität«, also der »Unzerstörbarkeit« der Kirche in der Wahrheit trotz aller Irrtümer im Detail, verstanden wird.
Die übrigen Lehrdifferenzen bezüglich Schrift und Tradition, Gnade und Rechtfertigung, Kirche und Sakramente dürfen als theologisch weithin bereinigt angesehen werden. Um es nur kurz und schematisch anzudeuten:
• Heute wird der Primat der Schrift als des ursprünglichen christlichen Zeugnisses (= normierende Norm) vor aller späteren Tradition auch von der katholischen Theologie anerkannt, wie umgekehrt zumindest grundsätzlich die Bedeutung der nachbiblischen Tradition (= normierte Norm) von der protestantischen Theologie zugegeben wird.
• Die Rechtfertigung auf Grund des Glaubens allein wird von katholischen Theologen heute ebenso bejaht wie die Notwendigkeit von Werken oder Taten der Liebe von evangelischen Theologen.
Glücklicherweise ist an der Basis der Kirchen sehr viel mehr geschehen: In einem Großteil katholischer, protestantischer und orthodoxer Gemeinden ist heute das gegenseitige Verstehen in einem früher unvorstellbaren Ausmaß gewachsen; Interkommunion wird von vielen Gruppen bereits praktiziert. Diese faktisch gelebte Ökumene an der Basis ist für die Zukunft wichtiger als alle theologischen Kontroversen und alle feingesponnene Kirchendiplomatie. Trotzdem muss von den Kirchenleitungen eine intensivere Unterstützung der ökumenischen Bestrebungen erwartet werden, vor allem im Hinblick auf dringende » ökumenische Imperative « wie:
• Reform und gegenseitige Anerkennung der kirchlichen Ämter und Eucharistiefeiern,
• gemeinsamer Wortgottesdienst, offene Kommunion und immer mehr auch gemeinsame Benutzung von Kirchen und anderen Einrichtungen,
• gemeinsamer Bau und gemeinsame Benutzung von Kirchen und anderen Einrichtungen,
• gemeinsame Erfüllung des Dienstes an der Gesellschaft,
• zunehmende Integration auch der theologischen Fakultäten und des Religionsunterrichts,
• Erstellung konkreter Unionspläne von Seiten der Kirchenleitungen auf nationaler und universaler Ebene.
Ökumene aber ist mehr als reiner Reformaktivismus. Ökumene lässt sich nur finden und verwirklichen, wenn sich alle Kirchen neu konzentrieren auf die eine christliche Tradition: auf das Evangelium Jesu Christi selbst! Nur von daher lassen sich die konfessionalistischen Ängste und Unsicherheiten weiter abbauen, der ideologische Fanatismus und die ressentimentgeladene Beschränktheit überwinden, die hinter den theologischen Differenzen verborgenen ökonomischen, politischen, kulturellen Verflechtungen mit einer bestimmten Gesellschaft, Schicht, Klasse, Rasse, Zivilisation, Staat sichten und auf eine neue Freiheit hin überschreiten. Das aber bedeutet freilich: Keine ökumenische Verständigung ohne kirchliche Erneuerung, aber auch keine kirchliche Erneuerung ohne ökumenische Verständigung!
Was heißt »katholisch« und was »evangelisch«?
In Zukunft werden die Unterschiede nur noch in verschiedenen traditionellen Grundhaltungen zum Ausdruck kommen, die sich seit der Reformationszeit ausbildeten, die aber heute in wahre Ökumenizität integriert werden können:
• Wer ist katholisch ? Wem besonders an der katholischen, d. h. ganzen, allgemeinen, umfassenden, gesamten Kirche gelegen ist. Konkret: an der in allen Brüchen sich durchhaltenden Kontinuität von Glaube und Glaubensgemeinschaft im Raum.
• Wer ist evangelisch ? Wem in allen kirchlichen Traditionen, Lehren und Praktiken besonders am ständigen kritischen Rückgriff auf das Evangelium (Schrift) und an der ständigen praktischen Reform nach der Norm des Evangeliums gelegen ist.
• Doch damit ist schon deutlich geworden: richtig verstanden schließen sich »katholische« und »evangelische« Grundhaltung keineswegs aus: Heute kann auch der geborene Katholik wahrhaft evangelisch und auch der geborene Protestant wahrhaft katholisch gesinnt sein, so dass bereits jetzt zahllose Christen in aller Welt – trotz der Widerstände in den kirchlichen Apparaten – faktisch eine vom Evangelium her zentrierte echte Ökumenizität realisieren. Wahres Christsein
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