Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
leben, auch die Atheisten ehrlicher Überzeugung; also selbst die mit größter Entschiedenheit ablehnen, Glieder dieser Kirche zu sein, werden gegen ihren Willen, ihr explizites und implizites Votum, zu »verborgenen« Gliedern dieser Kirche erklärt). Oder – auch diese Differenzierung ist möglich – »salus«: »salus« heißt eigentlich nicht Heil, sondern (auch) Unheil (auch außerhalb ist also nicht eigentlich Unheil, sondern nur schwieriger zu erreichendes Heil). Oder – wenn man die Karikatur auf die Spitze treiben will – »nulla«: »nulla« heißt eigentlich nicht »kein«, sondern (auch) »irgendein« (außerhalb hat man nicht einfach kein Heil, sondern nur nicht das ganze Heil; hat man nur einen Teil des Heiles, da christliche Verkündigung und Sakramente fehlen) …
Dies dürfte genügen, um zu zeigen, daß die spekulative Deutung zwar Richtiges intendiert, wenn sie vom positivistisch verstandenen Wortlaut des Dogmenpositivismus abrückt; die Formel genügt in einer neuen Situation tatsächlich nicht mehr, und diese Art einer spekulativen Distanzierung vom anfänglichen Sinn unter Beibehaltung der alten Formel war wohl auch das einzige, was mindestens in der katholischen Theologie der vorkonziliaren Zeit gerade noch geduldet wurde. Aber: Es läßt sich doch nicht übersehen, daß gerade die Umdeutung und Beibehaltung derselben Formel durch die Dogmenspekulation die Formel selbst verharmlost, ihres anfänglichen Sinnes entleert und sie in ihr Gegenteil verkehrt und daß so dieses Verfahren in eine ungewollte theologische Unwahrhaftigkeit hineinführt, die zugleich ja und nein sagt, die theologisch Unvoreingenommene vielfach perplex läßt und faktisch in immer größere Schwierigkeiten hineinführt. Damit eine überzeugende Lösung geboten werden kann, muß sowohl die alte Formulation (woran die positivistische Interpretation interessiert ist) wie die neue Intention (worauf die spekulative Interpretation Wert legt), jedes auf seine Weise, ernst genommen werden. Und dies geschieht in der geschichtlichen Interpretation.
3. Allen Erfordernissen einer radikalen theologischen Wahrhaftigkeit genügt heute nur die geschichtliche Interpretation. Die alte Formel darf in ihrem Sinn nicht subtil verdreht, vergewaltigt werden; das Interesse der positivistischen Interpretation an der alten Formulation ist berechtigt. Aber zugleich darf die alte Formel für eine neue Situation nicht mechanisch repetiert, aufgewärmt werden; das Eingehen der spekulativen Interpretation auf eine neue Intention ist berechtigt. Der Widerstreit der alten Formulation mit der neuen Intention kann indessen nur durch eine neue Formulation behoben werden. Nicht daß deshalb die alte Formulation weggeworfen werden soll. Es muß der Kirche und Theologie von heute am Zusammenhang mit der Kirche und Theologie von damals sehr gelegen sein. Und wir werden deshalb einer Formel, die durch oft recht lange Jahrhunderte hindurch Ausdruck des Glaubens unserer eigenen Glaubensgemeinschaft war, jederzeit Respekt, Achtung und Ehrfurcht entgegenbringen. Wir könnten ja sonst unsere eigenen Väter im Glauben nicht mehr verstehen. Aber gerade dies können wir nur, wenn wir die alte Formel verstehen als das, was sie für ihre Zeit wirklich war. Ohne spekulative Um-deutung oder positivistische Un-deutung muß sie nüchtern aus der geschichtlichen Situation heraus verstanden werden: aus der Situation der Theologie, die sie formte, der Kirche, in der sie lebte, der Politik, die auf sie Einfluß nahm, der Kultur, von der sie mitgeprägt wurde; aber noch bestimmter aus der Situation der beteiligten Kirchen und theologischen Parteien (z. B. der ultramontanen Partei auf dem Vatikanum I ), der beteiligten Persönlichkeiten (Kyrill von Alexandrien in Ephesus oder Innozenz III. auf der 4. Lateransynode), Nationen (die byzantinischen Griechen auf den alten Konzilien oder die Italiener und Spanier in Trient), Schulen (der Skotismus in Trient oder der Thomismus im Vatikanum I ), Universitäten (die Sorbonne in Konstanz), Orden (die Jesuiten im Vatikanum I ) usw. So kann eine Formel wirklich verstanden werden als das Ergebnis einer ganz bestimmten Geschichte. Es kann ihr geschichtlicher Stellenwert im großen und ständig fließenden Strom aufgezeigt werden, und schließlich kann sie vom verpflichtenden und maßgebenden Ursprung der Kirche, kann sie von der im Alten und Neuen Testament bezeugten ursprünglichen christlichen Botschaft selbst her kritisch auf ihre
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