Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
Kontinuität und Diskontinuität befragt werden.
»Wahrhaftigkeit« (1968), S. 180 – 190.
Kirche und Reich Gottes
Zu Hans Küngs großen Werken gehört das Buch »Die Kirche«. Es erschien 1967 und stützte sich – ein Novum in der katholischen Theologie – auf eine Fülle exegetischer Erkenntnisse und bedeutete einen ersten ökumenischen Brückenschlag. Dieser Text ist eine zusammenfassende Betrachtung zum Verhältnis von Kirche und Reich Gottes.
Provisorische Kirche
Jesus hat die Gottesherrschaft als eine entscheidend zukünftige, endzeitlich-endgültige verkündigt. Wenn die Kirche in der Nachfolge Christi die Gottesherrschaft als eine zukünftige, endzeitlich-endgültige verkündet, dann heißt dies als Imperativ für sie selbst:
Sie darf sich in dieser Endzeit nicht zur Mitte der Verkündigung machen, sondern sie hat von der in Christus erfüllten Gottesherrschaft herkommend hinauszuweisen auf die Gottesherrschaft, die sie erwartet als die kritische Vollendung ihres Auftrages. Sie geht der nicht nur partikulären, sondern universalen, der nicht nur vorübergehenden, sondern definitiven Offenbarung von Gottes siegender Herrlichkeit erst entgegen. Sie darf sich also nicht als Selbstzweck hinstellen, als ob sie je eine in sich selbst schwingende und beruhigte Herrlichkeit sein könnte! Als ob die Entscheidung des Menschen sich eigentlich nicht primär auf Gott, nicht auf Jesus, den Christus, sondern auf die Kirche bezöge! Als ob sie das Ende und das Vollendete der Weltgeschichte, als ob sie das Definitivum wäre! Als ob ihre Definitionen und Deklarationen und nicht das Wort des Herrn in Ewigkeit bliebe! Als ob ihre Institutionen und Konstitutionen und nicht die Herrschaft Gottes die Zeiten überdauerte! Als ob die Menschen für die Kirche, und nicht die Kirche für die Menschen und gerade so für die Herrschaft Gottes da wäre! Eine Kirche, die in dieser Endzeit vergißt, daß sie etwas Vorläufiges, Provisorisches, Zwischen-Zeitliches ist, die ist überfordert, sie ermüdet, erschlafft und stürzt, weil sie keine Zukunft hat. Eine Kirche aber, die immer daran denkt, daß sie ihr Ziel nicht in sich selbst, sondern im Gottesreich finden wird, die vermag durchzuhalten: Sie weiß dann, daß sie nicht überfordert ist, daß sie gar nichts Endgültiges zu erstellen, keine bleibende Heimat zu bieten braucht, daß sie gar nicht verwundert sein muß, wenn sie in ihrer Vorläufigkeit von Zweifeln geschüttelt, von Hindernissen blockiert und von Sorgen erdrückt wird. Ja, wenn sie das Endgültige zu sein hätte, müßte sie verzweifeln. Wenn sie aber nur das Vorläufige ist, darf sie Hoffnung haben. Ihr ist verheißen, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden.
Anspruchslose Kirche
Jesus hat die Gottesherrschaft als mächtige Tat Gottes selbst verkündet. Wenn die Kirche in der Nachfolge Christi die Gottesherrschaft als mächtige Tat Gottes selbst verkündet, dann bedeutet dies als Imperativ für sie selbst:
Sie darf in dieser Endzeit bei aller äußersten Anstrengung im Dienst an der Gottesherrschaft das Gottesreich nicht selbst schaffen wollen. Gott schafft es für sie. Auf sein, nicht auf ihr Tun darf sie ihr ganzes Vertrauen setzen. Die Kirche hat es nicht vollbracht, sie wird es nicht vollbringen, sie kann es nur bezeugen. Kann die Kirche in dieser Endzeit mehr tun, als um die Gottesherrschaft flehen, sie suchen, sich und die Welt auf die Gottesherrschaft wirkend und leidend intensiv vorbereiten? Kann sie selber je über das Kommen seines Reiches verfügen? Dürfte sie sich je selber verherrlichen und sich gegenüber Gott und den Menschen ihrer eigenen Lebens- und Gestaltungskraft rühmen? Dürfte sie je gegenüber Gott durch ihre Entschlüsse, Vorschriften und Vorstellungen Ansprüche erheben, statt für Gottes Anspruch in der Welt einzutreten? Könnte sie je der Gnade Gottes in kirchlicher Besserwisserei mißtrauen und auf eigene selbstgemachte Hoheit und Größe aus sein? Dürfte sie je gar selber Gnade zu schenken vermeinen, statt ihrer stets immer wieder zu bedürfen? Hat sie nicht die Gnade immer anspruchslos und vertrauend wie ein Kind mit leeren Händen zu empfangen? Hat sie sich nicht auch dann, wenn sie ihre Pflicht erfüllt hat, als unwürdige Magd zu betrachten?
Eine Kirche, die sich einbildet, sie schaffe in dieser Endzeit das Entscheidende, sie müsse aus eigener Kraft und Leistung das Gottesreich herbeiführen, aufbauen, errichten, die zerstreut und zerstört,
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