Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
zwar die zyklische Weltsicht vom Kreislauf der Geburten und der Weltperioden teilen, ebenfalls die Vorstellung der Bestimmung durch das Karma, die vorausgegangenen Taten. Doch als Buddhist würde ich die Autorität der Veden ablehnen und damit die Herrschaft der Brahmanen, die blutigen Opfer und die Kastenordnung der Hindus.
Meine Religion wäre nicht wie seit vier Jahrtausenden der Hinduismus einfach mit dem organisch dahinfließenden Ganges zu vergleichen. Vielmehr wäre sie bestimmt von jener epochalen indischen Orientierungsgestalt Siddhartha Gautama, genannt der Buddha , der »Erwachte«, der »Erleuchtete«. Seit dem 7. Jahrhundert vor unserer Zeit bietet er den Menschen einen Weg der Vergeistigung, Verinnerlichung, Versenkung an. Durch seine Lehre (»dharma«) gibt er den Menschen Antworten auf die vier Urfragen, die »Vier edlen Wahrheiten«: Was ist Leiden? Das ganze Leben. Wie entsteht es? Durch »Lebensdurst«, Gier, Haß, Verblendung. Wie kann es überwunden werden? Durch Nicht-Anhaften und dadurch Versiegen des Lebensdurstes. Welches ist der Weg, dies zu erreichen? Der »achtfache Pfad« des Buddha.
Der Buddha will keine Welterklärung bieten, sondern eine Heilslehre und einen Heilsweg: Wie soll der leidende Mensch Befreiung und Erlösung finden, wie die Lebenskrisen überwinden, wie das Leid bewältigen und sich mit seiner Beschränktheit, Endlichkeit, Sterblichkeit abfinden? In der Meditation soll der Mensch nach innen gehen. Wenn er die Erleuchtung erfahren darf, dann vermag er die Unbeständigkeit der Dinge zu entlarven und zu durchschauen, daß alles, was er sieht, nicht stabil ist, daß nichts in der Welt Bestand hat, daß alles veränderlich, ja, daß sogar mein eigenes Ich, an das ich mich so sehr klammere, ohne Wesenskern ist und somit vergänglich. Vom Buddha kann ich lernen, vom eigenen Ich frei zu werden: daß ich von der Selbstbefangenheit in Gier, Haß und Verblendung, von der Ichbezogenheit und Ichverflochtenheit den Weg finde zur Selbstlosigkeit. Der achtfache Pfad des Buddha ist ein Weg der vernünftigen Mitte, weder Genußsucht noch Selbstzüchtigung. Vielmehr rechtes Denken und rechte Gesinnung (Wissen), rechte Rede, rechtes Handeln und rechtes Leben (Sittlichkeit, Ethos), rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung. Das achtspeichige Rad ist das Symbol für den Dharma, Buddhas Lehre vom achtfachen Pfad.
Für mich ist nun wichtig: Aus dem Wissen heraus ist ein moralisches Verhalten, ein Ethos möglich, wie es von jedem Buddhisten, nicht nur von den Mönchen und Nonnen, erwartet wird. Es umfaßt vier elementare Grundforderungen: nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen, sich nicht sexueller Ausschweifung hingeben. Vielleicht wäre ich daher auch als Buddhist auf die Idee eines gemeinsamen Menschheitsethos gestoßen, das ja nach der Erklärung des Parlaments der Weltreligionen von Chicago 1993 ebenfalls auf diesen vier ethischen Konstanten aufbaut; nur die fünfte buddhistische Weisung, sich aller Rauschmittel zu enthalten, findet keinen Konsens der Religionen und kann deshalb nicht Bestandteil eines Weltethos sein.
Ich stelle mir vor und denke den Gedanken zu Ende: Als Buddhist hätte ich zweifellos in dem Fall etwas mehr Schwierigkeiten gehabt, wenn ich (wie im Theravada-Buddhismus) hätte Mönch werden müssen, um durch Geistesschulung zur meditativen Sammlung zu gelangen. Nur sie ermöglicht mir ja den Ausstieg aus dem Kreislauf der Geburten, nur sie den Eingang ins »Nirwana«, ins »Erlöschen«, wo Gier, Haß und Verblendung enden und vielleicht nicht das Nichts, sondern Glückseligkeit auf mich wartet. Ebensowenig wie zum christlichen Mönchtum hätte ich mich wohl zum buddhistischen hingezogen gefühlt. Beide fordern ja dasselbe: Absonderung von der Welt, ein streng geregeltes Leben in Besitzlosigkeit und sexueller Enthaltsamkeit. Allerdings steht im Christentum das Mönchtum eher am Rand, im Buddhismus aber steht es im Zentrum. Doch so wenig wie einem christlichen Bettelorden wäre ich wohl dem Sangha, der buddhistischen Mönchsgemeinschaft, beigetreten. Statt abgeschieden von der Welt sehe ich nun einmal meinen Platz ganz und gar in der Welt. Näher als bei der buddhistischen stehe ich diesbezüglich bei der ursprünglichen chinesischen Tradition.
Das konfuzianische Modell
Wenn ich in China geboren wäre als einer der anderthalb Milliarden Chinesen, wäre ich wahrscheinlich Konfuzianer geworden. Erst relativ spät bin ich im Zusammenhang mit Reisen
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