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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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auch nicht im indischen geboren worden, sondern im nahöstlich-prophetischen. Vieles schließt sich gegenseitig nicht aus. Wir denken heute im interreligiösen Gespräch weniger konfrontativ als komplementär! Aber klar ist auch, daß die Wege der Religionen verschieden sind und nicht alle gleichzeitig gegangen werden können. Ich bin als Christ geboren. Und insofern liegt mir nach dem christlichen das jüdische Lebensmodell am nächsten.
    Das jüdische Modell
    In meiner Jugend war mir dies nicht bewußt, obwohl gegenüber von meinem Elternhaus eine mit uns befreundete jüdische Familie lebte: Das Christentum wurzelt im Judentum. Doch man sprach nicht über Religion. Die Kirchen und viele Gläubige hatten es weithin vergessen: Jesus von Nazaret, auf den sich das Christentum als seinen Messias, seinen Christus beruft, war Jude. Auch seine Jünger und Jüngerinnen waren Juden. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den frühen 60er Jahren ist mir dies so ganz bewußt geworden. Und in all dem selbstverständlich auch des Volkes Israel Grundüberzeugung: »Jahwe (in den ersten Jahrhunderten als Gottesname noch ausgesprochen) ist der Gott Israels und Israel sein Volk.«
    Seither sind mir die bleibenden Gemeinsamkeiten von größter Bedeutung: Sie zeigen mir, daß das jüdische Lebensmodell in zentralen Perspektiven auch das christliche geworden ist. Trotz der vor allem seit der Kreuzzugszeit grauenhaft-konfliktreichen Geschichte, zuerst des kirchlichen Antijudaismus, dann des rassistisch-biologistischen Antisemitismus, die im Holocaust ihren katastrophalen Tiefpunkt erreichte, hat sich eine bis heute andauernde Gemeinsamkeit erhalten:
    Wie die Juden glaube ich als Christ an den einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, dem der Mensch als dem Schöpfer, Erhalter und Vollender von Welt und Geschichte glaubendes Vertrauen entgegenbringen darf.
    Wie die Juden verwenden wir Christen im Gottesdienst viele Elemente (Psalmen), viele Grundvollzüge (Gebete, Lesungen) und inhaltlich-religiöse Momente aus dem Judentum.
    Wie die Juden akzeptieren wir Christen die Sammlung der Heiligen Schriften (die Hebräische Bibel, den Tenach oder das »Alte Testament«), welche die Urkunde des gemeinsamen Glaubens und zahlreicher gemeinsamer Werte und Denkstrukturen sind.
    Wie die Juden sind wir Christen einem Ethos der Gerechtigkeit, der Wahrhaftigkeit und der Friedfertigkeit auf der Grundlage der Gottes- und der Nächstenliebe verpflichtet …
    An jener Stelle in Tel Aviv, wo der frühere israelische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Itzhak Rabin, der für den Frieden mit den vertriebenen und unterdrückten Palästinensern eingetreten war, von einem jüdischen Fanatiker 1995 ermordet worden war, habe ich in einem Statement für den »Spurensuche«-Film über das Judentum das religiöse und ethische Erbe dieser Religion hervorgehoben: »Es gibt kaum ein anderes Volk, das etwas so Substantielles und Markantes für ein kommendes gemeinsames Menschheitsethos zu bieten hat, wie gerade das Judentum mit seinen Zehn Geboten. Diese sind, wie der deutsche Schriftsteller Thomas Mann nach den Schrecken des Nationalsozialismus erklärt hat, ›Grundweisung und Fels des Menschenanstands‹, ja das ›ABC des Menschenbenehmens‹.«
    Die jüdischen Quellen eines Menschheitsethos hat der Rabbiner und Leiter des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs, Walter Homolka, in dem mit mir gemeinsam verfaßten Buch »Weltethos aus den Quellen des Judentums« (2008) hervorragend dargestellt. Und das »Weltethos – christlich verstanden« hatte ich bereits 2005 im gleichnamigen Buch gemeinsam mit der Mainzer Pfarrerin Angela Rinn-Maurer herausgearbeitet. Doch – was heißt nun spezifisch christliche Spiritualität? Zuerst ist eine Abgrenzung vonnöten:
    Verfälschte christliche Spiritualität
    »Spiritualität«, oft unterschieden von »Religiosität«, kann heute allerlei bedeuten. Christliche Spiritualität, Geistigkeit, sollte nicht, wie heute für manche »spirituelle« Personen und Bewegungen, primär auf frommen Impulsen, Gefühlen und Massenveranstaltungen gründen, sondern auf vernünftigem Glauben, soliden Kenntnissen und erprobten Einsichten. Ich möchte jedenfalls nicht einfach alles Mögliche glauben und selbst Widersprüchliches zu meiner persönlichen Spiritualität zusammenmischen. Weil ich gläubig bin, bin ich nicht abergläubisch. Ich glaube weder an die Sterne des Horoskops, noch habe ich je Stars in den Medien, im Sport oder in der

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