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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Politik vergöttert. Nicht eine oberflächliche »Patchwork«-Religion ist mein Ideal, sondern eine Religiosität mit solidem Fundament und klarem Profil.
    Christliche Spiritualität gründet sich ja nicht nur auf Beteuerungen und Behauptungen, sondern auf plausiblen Argumenten. Nichts ist für mich nur deshalb wahr, weil ich es für wahr halte, und auch von anderen kann ich nicht verlangen, daß sie Glaubensaussagen ungeprüft akzeptieren. Weil ich gläubig bin, möchte ich auch vernünftig begründen können, warum ich es bin. Deshalb glaube ich weder an romanhafte Konstruktionen wie den »Da Vinci Code« noch an sonstige Verschwörungstheorien von unterdrückten Evangelien und der Verheimlichung skandalträchtiger Urkunden um Jesus durch den Vatikan. Weil ich die im Neuen Testament gesammelten Originaldokumente des Christentums gründlich studierte, habe ich kein Bedürfnis nach religiösen Sensationsromanen und pseudowissenschaftlichen Abhandlungen, um als informiert und »aufgeklärt« zu gelten.
    Jemand wie ich, der vieles hat kommen und gehen sehen, wundert sich immer wieder darüber, wie viele Menschen, darunter auch ernsthafte Christen, sich leichtgläubig beeindrucken lassen von dreisten Erfindungen, etwa: Jesus, der nicht gekreuzigt worden sei, habe Maria Magdalena geheiratet, Nachkommen gezeugt und sei friedlich in Indien oder Kaschmir verstorben. Von Verschwörungsklischees um mordende Geheimbünde mit Gralskulten ganz zu schweigen. Leichtgläubigkeit nicht zuletzt deshalb, weil die Kirchenleitungen (nicht nur die römisch-katholische) die notwendige Aufklärungsarbeit versäumten, ja zum Teil sogar verhinderten. Allzulange hat man in der offiziellen Lehre, in Enzykliken, Katechismen, Hirtenbriefen und Predigten dem »Volk« die Resultate der historischen Bibelkritik vorenthalten und es zum Beispiel über die Entstehung der Evangelien und die unterschiedlichen Genres biblischer Erzählungen im Dunkeln gelassen. Bis heute fehlt es vielen Menschen an – unterdessen leicht verfügbarem – Grundlagenwissen über die christliche Botschaft und Tradition. So hat man sie oft hilflos den Produzenten von Sakralthrillern und dem Infotainment der postmodernen Gesellschaft ausgesetzt.
    Ob man sich in den christlichen Kirchen nicht endlich kritisch-selbstkritisch auf die Grundlage christlicher Spiritualität besinnen sollte? Und zwar mit dem Ziel, dem statistisch nachgewiesenen ungeheuren Vertrauensverlust der Kirchen offensiv entgegenzutreten. Klagen über den Werteverfall und den geistigen Beliebigkeitspluralismus der Zeit genügen nicht!
    Aber auch umgekehrt gefragt: Kann das Christentum überhaupt noch eine Orientierung bieten? Muß man angesichts der kirchlichen Wirklichkeit nicht eher am Christentum verzweifeln? Hat das Christentum, zumindest in den europäischen Ländern, vielleicht sogar weltweit, nicht an Plausibilität und Glaubwürdigkeit verloren? Ist es nicht eher Teil der Probleme als Teil der Lösung?
    Mehr denn je gibt es Trends weg vom Christentum , hin zum Faszinosum fernöstlicher Religionen, hin zu esoterischen Bewegungen oder zu Ersatzreligionen aller Art im Rahmen einer »Erlebnis- und Spaßgesellschaft«. Und damit auch hin zur religiösen Gleichgültigkeit. »Fit for fun« ist das Gegenwartsmotto, »fit for faith«, Fitsein für und im Glauben scheint zumeist »out« zu sein.
    Daran sind die Kirchen nicht unschuldig . Bedrückende Erfahrungen machen ungezählte Menschen noch immer mit der katholischen Amtskirche: Autoritarismus, Frauendiskriminierung, Sexualkomplexe, Dialogverweigerung, Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Aber auch Enge, Provinzialismus und Profillosigkeit in den evangelischen Kirchen sind mitverantwortlich dafür, daß Jahr für Jahr Tausende aus den Kirchen austreten, Millionen ohnehin in die innere Emigration gehen und weitere Millionen, etwa in den neuen Bundesländern, erst gar nicht in die Kirchen eintreten. Da stellt sich die bedrängende Frage, ob das Licht des Christentums im 21.   Jahrhundert überhaupt noch Orientierung sein kann.
    Andererseits aber fragen sich auch viele, die mit den Kirchen nichts mehr anfangen können: Sollen die Ideale des Christentums einfach verschwinden? Ja, wie würde eine Welt aussehen, die nichts mehr wüßte von den Zehn Geboten und dem Gebot der Nächsten- und Feindesliebe, von der Bergpredigt und den Gleichnissen Jesu? Etwa so wie unsere Städte ohne ihre Kathedralen und Kirchen! Viele Menschen möchten deshalb keineswegs mit den

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