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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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Kiefer- und Stirnknochen wie seltsame Knöpfe herausragten. Meine Lippen, runzelig und hart wie in der Sonne vertrocknete Würmer, verschwanden im zahnlosen Krater meines Mundes. Ich schlief am Tag und wachte in der Nacht auf, weil ich den arthritischen Schmerz meiner spröden Gelenke kaum aushielt.
    Ich wusste, es war Luas, als ich das Klopfen an der Tür hörte. In all den Jahren hatte mich niemand besucht. Er war sicher gekommen, um mir zu sagen, ich solle die Präsentation nicht länger hinauszögern. Otto Bowles wartete in der Bahnhofshalle auf die Präsentation seines Falles, und Gott wartete im Gerichtssaal, um über seine Seele zu richten.
    Zu meiner äußeren Erscheinung verlor Luas kein Wort. Er lächelte nur – sein wissendes Großvaterlächeln, mit dem er mich auch bei meiner Ankunft in Schemaja begrüßt hatte, als wollte er sagen: Ja, meine Tochter, du hast gelitten, und es ist schwierig, aber Worte meinerseits würden es nur schlimmer machen. Ich bot ihm einen Platz auf der Veranda an.
    »Wie geht es dir, Brek?«, fragte er.
    »Ich würde den Schalter noch einmal umlegen«, antwortete ich mit der zitternden Stimme einer alten Frau, schwach, aber trotzig. »Bis er nur noch Asche wäre.«
    Der dunkle Amboss der Gewitterwolke zog über den Himmel dahin. Ich stellte mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn ich aus dem heißen Feuer gezogen und mit dem Hammer bearbeitet würde.
    »Nero Claudius beging Selbstmord«, sagte Luas. Er kniff sein Gesicht zusammen, als er in seinen Taschen nach Streichhölzern für seine Pfeife suchte. »Im Gegensatz zu Mr Bowles nahm er der Welt damit die Chance, für Gerechtigkeit zu sorgen.«
    »Dann hat Gott also doch einen Sinn für Humor«, stellte ich fest. »Satan ist ein Anwalt mit einem Aktenkoffer in der Hand. Womit haben wir das verdient?«
    Luas zündete ein Streichholz an, das im düsteren Licht orange aufflackerte. Der weiße Rauch seiner Pfeife, zu schwach, um mit dem Wind aufzusteigen, waberte über die Seiten nach unten.
    »Ich habe gejohlt, als der heilige Stephanus gesteinigt wurde«, sagte Luas. »Ich denke also, ich habe es verdient. Aber das hier ist nicht die Hölle, Brek. Der Richter muss sich unserer Treue und Selbstbeherrschung sicher sein. Wenn wir bei der Präsentation der Seelen, die wir am meisten verachten, unvoreingenommen sind, kann sich der Richter sicher sein, dass wir alle Antragsteller leidenschaftslos präsentieren. Wir dürfen den Gerichtssaal nur mit reinen Motiven betreten – wir dürfen niemanden bevorzugen und keine Gefühle zeigen. Das Urteil fällt Jahwe. Er allein bestimmt, wie Otto Bowles und Nero Claudius die Ewigkeit verbringen.«
    Ein blauer Blitz zuckte übers Tal, gefolgt von einem lauten Donner. Eine Damhirschkuh und ihr Kitz schlichen auf Zehenspitzen durch den Streifen weißen Schnee, der die Wiese bedeckte, und spitzten ihre Ohren zum Himmel, verwirrt über den lauten Donner an einem solchen kalten Tag in ihrem Teil von Schemaja.
    Oh, gib acht, wünschte ich der Hirschkuh aus ganzem Herzen, von Mutter zu Mutter. Hier ist es nicht sicher. Zuerst sind sie hinter deinem Kitz her, dann hinter dir. Traue niemandem. Verlass dich auf nichts. Lauf. Lauf einfach weg!
    »Ich tat alles, um Menschen einem gerechten Urteil zuzuführen«, fuhr Luas fort. »Doch eines Tages war ich wie geblendet von dem Gedanken der Vergebung. Ich weiß nicht, wie es passierte. Ach, es war eine völlige Umkehr: Ich begann, den Menschen von der Vergebung zu predigen und sie zu kritisieren, wenn sie sich an die Gerichte wandten.«
    »Du hast eine Menge Menschen in die Irre geführt«, merkte ich an.
    »Stimmt«, bestätigte er. »Das wurde mir klar, als ich Elymas kennenlernte. Als er mir drohte, konnte ich nicht einfach nur die andere Wange hinhalten. Ich blendete ihn, so wie ich geblendet worden war. Er ist deswegen noch immer sauer, obwohl ich mich schon tausendmal entschuldigt habe. Ich kehrte zum alten Gesetz des Auge um Auge zurück. Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut sich das anfühlte. Zu dem Zeitpunkt war es jedoch zu spät. Die Römer sperrten mich als Staatsfeind ein. Doch ich wollte nicht kampflos aufgeben, wie Jesus es getan hatte. Ich forderte als römischer Bürger mein Recht auf eine Gerichtsverhandlung. Als mir eine gerechte Anhörung verweigert wurde, wandte ich mich an Nero Claudius. Er stand damals in einem guten Ruf. Niemand wusste, dass er sich eines Tages als Sadist aufführen würde. Den Rest kennst du. Nero und ich treffen uns

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