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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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lächelte, zeigte dieses geduldige, wissende Lächeln, das typisch für sie und Luas war, als wollte sie sagen: Ja, meine Urenkelin, greif zu, die Antwort liegt direkt vor deiner Nase.
    »Wir sind nicht mehr dort, mein Kind«, antwortete sie. »Es war eine wunderbare Illusion, aber sie hat sich aufgelöst. Du bist nach Hause zurückgekehrt. Du wirst sie erst wiedersehen, wenn auch sie nach Hause kommen. Der freie Wille ist absolut. Wir können mit unserem Bewusstsein nicht von einem Reich ins andere wechseln …«
    Wieder jagte sie mir Angst ein. »Lass mich allein!«, rief ich und rannte zu meinem Wagen zurück.
    »Warte, mein Kind«, rief sie mir hinterher. »Wohin gehst du?«
    Ich wusste nicht, wohin ich wollte. Ich wusste nur, dass ich Bo und Sarah finden musste. Ich musste Hilfe holen. Vielleicht war gar nicht Samstag, sondern immer noch Freitag, so dass ich Sarah von der Tagesstätte abholen und noch einmal von vorne anfangen konnte. Es ist alles nur ein Traum , sagte ich mir immer wieder. Nur ein böser Traum. Du hast Fieber und bist krank . Ich stieg in den Wagen und startete den Motor.
    »Wie würde die Tagesstätte aussehen?«, rief Nana.
    Sobald ich darüber nachdachte, war ich schon da. Das Haus verschwand, und mit ihm mein Wagen, die Bäume, die Straße, das gesamte Viertel. Die raue Backsteinmauer unseres Nachbarhauses verwandelte sich in die glatte weiße Wand der Tagesstätte, die mit blauen Walen aus Papier verziert war, die Sarah und die anderen Kinder mit Miss Erins Hilfe angemalt hatten. Leuchtende, frisch gesaugte Spielteppiche lagen dort, wo vorher die Wiese gewesen war. Das Fach, das ich am Freitagmorgen mit frischen Laken, Windeln und Waschlappen vollgestopft hatte, befand sich dort, wo der Beifahrersitz meines Wagens gewesen war. Entlang der Mauer waren bunte Vorschulspielsachen sauber aufgereiht. Ein Basteltisch mit Holzstäbchen, Leimfläschchen und Stapel mit farbigem Bastelpapier ragte über die Veranda hinaus. Der Duft von Babypuder und Babycreme erfüllte die Luft. Doch ich hörte kein Lachen in der Tagesstätte, kein Kreischen und kein Weinen. Kein Kind. Keine Erzieherin. Kein Ton.
    Nana stand in der Tür und beobachtete mich, während ich meinen Blick schweifen ließ und nach dem Zauberer hinter dem Vorhang suchte.
    Als Nächstes fiel mir das Set der Morgennachrichten ein, in denen Bo versucht hatte, mit Piper Jackson seine Späßchen zu treiben. So schnell, wie die Erinnerung kam, verwandelte sich die Wand aus farbigen Walen in das Foto vom Sonnenaufgang, das den Nachrichtensprechern als Hintergrund diente. Wo die Kinderbettchen gestanden hatten, befanden sich Studiokameras, von der Decke hingen Scheinwerfer herab. Doch wie mein Viertel und die Tagesstätte war auch das Studio verlassen. Als Nächstes dachte ich an meine Kanzlei … und war plötzlich umgeben von meinem Schreibtisch, dem Rechner, den Akten, Regalen, Abhandlungen, Diplomen und Bildern von Bo und Sarah. Dann erschienen Stan’s Delikatessen auf der Penn Street und das Strandhaus meiner Bellini-Großeltern in Rehoboth Beach, gefolgt von der Scheune meiner Cuttler-Großeltern und meinem Bett in der Abteilung für physikalische Therapie im Kinderkrankenhaus von Philadelphia, wo ich Bobby Hamilton, dem beide Arme amputiert worden waren, dabei beobachtete, wie er lernte, sich die Schuhe mit einer langen Häkelnadel im Mund zuzubinden. Ich sah die Aschenbahn hinter meiner Highschool, wo ich mehrere Läufe gegen zweiarmige Gegnerinnen gewonnen und die wenigen Zuschauer in Erstaunen versetzt hatte. Ich saß an der Bar im Smokey Joe’s auf der Fortieth Street in der Nähe der University of Pennsylvania in Philadelphia, wo ich mit meinen Studienkolleginnen die Nächte durchgetanzt hatte. Ich kniete vor dem Altar in der Old Swedes Church, wo Karin Busfield, meine beste Freundin und Priesterin in der Episkopalkirche, mich fragte, ob ich Boaz Wolfson vor Gott meine Treue schwören würde, und uns zu Mann und Frau erklärte. Ich weinte im Kreißsaal im Wilmington Hospital, wo meine Mutter mich zur Welt gebracht hatte, und dann wieder im Blair Memorial Hospital in Huntingdon, wo ich Sarah zur Welt gebracht hatte und Bos Tränen auf meine Lippen getropft waren.
    Jeder Raum und Ort aus meiner Vergangenheit erschien so schnell, wie ich an ihn dachte, als würde ich einen Schacht hinabstürzen, der mitten durchs Zentrum meines Lebens gelegt war.
    Ich verlangsamte wieder mein Tempo, ging das sandige Ufer des Delaware entlang, kletterte

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