Was danach geschah
würde gerne rauchen. Meine Großmutter winkt mir zur Ermutigung mit einer Rolle Bonbons zu. Meine Mutter sitzt allein auf der anderen Seite des Gerichtssaals und wirft meinem Vater und Großvater ihre bösen »Hab ich dir doch gesagt«-Blicke zu. Mein Vater lutscht an einem Bonbon, das meine Großmutter ihm aufgedrängt hat, und blickt immer wieder auf die Uhr. Der Verteidiger aus Pittsburgh, viel zu geschniegelt und herablassend für Huntingdon County, flüstert dem Vizepräsidenten des Herstellers, einem Texaner, der ein Bein aufs andere legt und über seine braunen Wildlederstiefel streicht, etwas zu.
Rechts von mir sitzen die Geschworenen, die über den Fall entscheiden werden: drei Bauern, eine Friseurin, eine Hausfrau und ein Lkw-Mechaniker. Die Bauern fummeln unruhig an den Kragen ihrer weißen Anzughemden. Die Friseurin, die sich zu stark geschminkt hat, lässt eine Kaugummiblase knallen. Die Hausfrau, die sich zu wenig geschminkt hat, zupft an ihrem Haar herum. Der Lkw-Mechaniker kaut auf seinen schmutzigen Fingernägeln und schielt zur Friseurin hinüber.
»Es ist in Ordnung, mein Kind«, sagt Mr Gwynne. Er ist hier, um mich zu beschützen, mein Retter in der Not, galant und gutaussehend. Ich habe mich heimlich in ihn verknallt. »Lass dir Zeit, und putz dir die Nase. Ich weiß, das ist schwer mit einer Hand, Brek. Es tut mir leid, dass wir dir das hier antun müssen, aber die Hersteller des Miststreuers haben ein Recht auf diese Verhandlung. Nur noch ein paar weitere Fragen, ja? Du musst einfach tapfer sein und die Wahrheit sagen. Bist du sicher, dass die Abdeckung am richtigen Platz war? Ich spreche von dem Metalldeckel über der Kette.«
»Ja, Mr Gwynne, ich bin mir sicher.«
»Und du bist ausgerutscht und dagegengefallen?«
»Ja.«
»Und der Deckel hat nachgegeben?«
»Ja.«
»Und dein Arm geriet in die Kette?«
»Ja. Gott, es tut mir leid, Mr Gwynne. Das alles tut mir schrecklich leid. Ich hätte vorsichtiger sein sollen.«
»Dir muss nichts leidtun, Brek«, versichert er mir. »Wir sind diejenigen, denen leidtut, was dir passiert ist. Du warst heute ein sehr tapferes Mädchen. Dafür sind wir dir dankbar.«
Die Geschworenen verurteilten den Hersteller in weniger als einer Stunde zu einer Strafe in Höhe von vierhundertfünfzigtausend Dollar. Ein von Mr Gwynne bestellter Gutachter sagte aus, wäre der Miststreuer korrekt konstruiert worden, hätte erst gar keine Notwendigkeit bestanden, die Abdeckung abzunehmen, um den Fehler zu beheben. Dies bedeutete, dass meine Lüge womöglich ohnehin keinen Unterschied machte.
Ein Drittel des Geldes erhielt Mr Gwynne. Ein weiteres Drittel brachte mir einen Aufenthalt in einem Internat der Quäker ein, vier Jahre an einem privaten College für Freie Kunst und drei Jahre an einer der führenden juristischen Fakultäten einer Eliteuniversität. Mit dem Rest wurden die Arztrechnungen und ein paar andere Dinge bezahlt, unter anderem ein Auslandssemester in Europa. Nur mein Großvater wusste mit Sicherheit, dass ich hinsichtlich der Abdeckung gelogen hatte, doch darüber verloren wir nie ein Wort. Er sagte aus, er könne sich nicht erinnern, ob er sie angebracht habe oder nicht, was seine Aussage nur wie eine halbe Lüge aussehen ließ. Ich vermute, mit einer vollständigen Lüge hätte er nicht leben können.
Luas war aber noch nicht fertig mit mir. »Niemand im Gerichtssaal, weder deine Eltern noch Bill Gwynne oder gar dein Großvater, wusste, dass du deine Hand absichtlich in die Maschine gehalten hast. Das hast du nur einem Menschen erzählt, Karen Busfield, und zwar zwanzig Jahre nach der Gerichtsverhandlung. Erinnerst du dich?«
»Ja«, antwortete ich. »Ich erinnere mich.«
Natürlich erinnerte ich mich. Karen Busfield, meine beste Freundin aus Kindheitstagen, die so nett und sanft war, dass sie es nicht fertiggebracht hatte, Jungs zu bestrafen, die Krebse umgebracht hatten, war Priesterin in der Episkopalkirche geworden und hatte mich gebeten, sie in einem Fall zu verteidigen, bei dem ihr die Todesstrafe drohte.
14
Ich erinnerte mich in Luas’ Büro an Karen Busfields Fall, als würde sich ein Teil meines eigenen Lebens, von Haissem im Gerichtssaal präsentiert, vor mir abspulen.
Es ist spätnachts. Bo und ich haben Sarah ins Bett gebracht und sind selbst bereits eingeschlafen. Das Telefon reißt mich aus dem Schlaf. Mein Herz pocht, als ich, wegen der späten Stunde das Schlimmste befürchtend, nach dem Hörer taste.
»Ja? Hallo?«, melde
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