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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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linke Hand aus, ohne vorher seine rechte zu nehmen, und bringt mich so zurück in Nanas Wohnzimmer in Schemaja.
    »Gott sei Dank bist du wieder da«, sagt Luas. »Sophia und ich haben uns schon gefragt, ob du jemals zurückkommst.«
    Ich blicke mich im Zimmer um, benommen und verwirrt von der Flut von Bildern, Gefühlen und Persönlichkeiten, die durch mich hindurchfließen. Nana bringt mir eine Tasse Tee, mit der ich mich aufs Sofa setze.
    »Du hast viel Zeit bei Miss Rabun verbracht«, beginnt Luas. »Sie hat ein interessantes Leben geführt.«
    Ich schiebe meine Hand in den rechten Ärmel meines Bademantels und betaste den vertrauten Umriss meines Stumpfes, den geschrumpften Bizeps, den rauen, verkalkten Oberarmknochen, der wie eine Koralle unter einer wulstigen Schicht aus Fleisch liegt.
    »Ja, das hat sie«, bestätige ich.
    »Die Schriebergs haben gelogen«, sagt Luas.
    »Worüber?«
    »Sie haben für Helmut Schiwa gesessen.«

17
    Mich von Amina Rabun zu lösen gehörte zu den schwersten Aufgaben meines Lebens – oder meines Todes. Amina Rabuns Geschichte wurde meine Geschichte. Leider war, wie so oft im Theater, auch ihr Leben eine Tragödie.
    An dem verregneten Nachmittag des 23. April 1945 näherte sich ein sowjetischer Spähtrupp, der Richtung Süden nach Prag unterwegs war, und stolperte über die Familie Rabun aus Kamenz. Es war der Tag, an dem die Familie Aminas achtzehnten Geburtstag feierte.
    Die Alliierten hatten im Westen Leipzig eingenommen, während die Russen sich im Osten entlang der Oder gesammelt hatten. Mit dieser Strategie machten sie eine Niederlage Deutschlands unausweichlich. Aminas Vater, Friedrich, und ihr Onkel, Otto, hatten sich bereits mit Hitlers restlichen Truppen nach Berlin zurückgezogen. Sie hatten ihren Familien allerdings geraten, Kamenz nicht zu verlassen, da sie davon ausgingen, dass die Russen nur an Berlin interessiert wären, die Amerikaner bald Dresden einnehmen würden und die alliierten Streitkräfte den russischen vorzuziehen wären, was den Umgang mit den Zivilisten betraf. Insgeheim sorgten sich die Rabun-Brüder aber auch um ihren Besitz, der, einmal verlassen, mit Sicherheit geplündert werden würde – wenn nicht durch feindliche Soldaten, dann durch die deutschen Nachbarn, denen es während Hitlers letztem verzweifelten Gefecht an allem gemangelt hatte.
    Ohne sich der sich nähernden russischen Truppen gewahr zu werden, erhob sich Amina früh an diesem Tag und begann, für ihre Feier zu backen. Großvater Hetzel allerdings war noch früher aufgestanden, um ein Schwein zu schlachten und in einer Grube zu braten, die er neben der langen Garage gegraben hatte. In der Garage ruhten polierte Daimler ungenutzt auf dicken Holzblöcken, weil es kein Benzin gab. Am Mittag sorgte der herrliche Duft von Schweinebraten, Süßkartoffeln, Kohl und frischem Kuchen für Hochstimmung, besonders bei Tante Helenas vier Kindern, zwei Jungs und zwei Mädchen, die trotz des Nieselregens den ganzen Morgen draußen Verstecken gespielt und wegen des Festschmauses kein Frühstück bekommen hatten.
    In dem Wissen darüber, welche Wirkung die Zurschaustellung von Wohlstand in diesen mageren Zeiten haben konnte, waren nur Familienmitglieder eingeladen worden, von denen alle bis auf diejenigen, die im Gutshaus selbst wohnten, wegen fehlender Transportmöglichkeiten nicht aufs Land kommen konnten. Daher wurde vereinbart, die Reste durch eine anonyme Spende an die Kathedrale an diejenigen Bewohner von Kamenz zu verteilen, die am meisten unter Hunger litten. Zudem wollte Amina heimlich der Familie Schrieberg etwas bringen, die in letzter Zeit wenig zu essen gehabt hatte und, nachdem sie sich schon lange nicht mehr auf koscheres Essen beschränken konnte, gerne auch Reste des Schweinefleisches annehmen würde.
    Bis zum frühen Nachmittag ging alles glatt über die Bühne. Alles und jeder spielte mit – bis auf das Wetter. Dennoch war der seit dem Morgen anhaltende Regen so rücksichtsvoll, erst wie aus Eimern zu schütten, nachdem Großvater Hetzel das Schwein von seinem Scheiterhaufen genommen hatte. Kinder und Erwachsene rannten hinein, sowohl um trocken zu bleiben als auch um sich über den Festschmaus herzumachen. Sie versammelten sich im Esszimmer um einen riesigen Tisch, der mit dem besten Geschirr gedeckt und zwei großen, handbemalten Vasen voller Wildblumen aus dem Garten geschmückt war. Im Hintergrund ertönten leise Kreisler und Bach aus einem Grammophon. Neben dem Ehrenplatz am

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