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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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Priester sprach, glaubte Amina, die Schreie der Büßer, die um Vergebung baten, und das freudige Weinen zu hören, wenn offene Hände statt Fäuste ausgestreckt wurden. In diesem Moment fragte sich Amina Rabun-Meinert, ob es dies war, was das Christentum der Welt bot – Versöhnung statt heiliger Male und geheimnisvoller Worte.
    Am Aschermittwoch 1953 nahm Amina Rabun-Meinert dieses Angebot an – um ihrer selbst willen, ja, aber, was noch wichtiger war, um ihres Vaters und Onkels willen, deren während des Kriegs begangene Sünden unaussprechlich waren und die nicht selbst um Vergebung bitten konnten. So flehte Amina Rabun an diesem unglaublichen Aschermittwoch um Vergebung für alle Taten und Unterlassungen. Und für diesen flüchtigen Moment der Reue erwartete sie von Gott nichts Geringeres als ein Ende der Bestrafung ihrer Familie. Lange hatte sie nämlich geglaubt, die Morde und Vergewaltigungen in Kamenz wären die Bestrafung für die Sünden ihres Vaters und Onkels gewesen.
    Wieder sah Amina auf die Zeitung hinab und dann über den riesigen funkelnden See. Der Tod von Joseph Stalin war ein hübsches Symbol für einen neuen Bund mit Gott, bekräftigt durch die Milliarden winziger Regenbögen, die auf der gefrorenen Wasseroberfläche mit den Eiskristallen verschmolzen.

20
    Als der Hohe Rechtsgelehrte von Schemaja befand, ich hätte mich ausreichend mit dem Leben von Amina Rabun befasst, zitierte er mich in sein Büro am Ende des endlosen Flurs, der noch anstaltsmäßiger und freudloser wirkte als bei meinem ersten Besuch – eine Art Beförderungsabteilung für Seelen. Ich ging davon aus, dass Luas der Cheftechnokrat war, obwohl ich mich nach allem, was ich in Schemaja gesehen hatte, langsam fragte, ob der Bürokrat oder sogar die Bürokratie an sich korrupt war.
    Ich war wütend auf Luas, weil er mich nicht über Elymas und die Möglichkeit informiert hatte, Bo und Sarah sehen zu können. Er würde natürlich wissen, dass ich abgehauen war, da er alles über mich wusste, ohne dass ich ein Wort darüber verlieren musste. Ich erwartete, gescholten zu werden, wie Elymas mir angekündigt hatte, doch stattdessen lächelte mich Luas gütig von der anderen Seite seines Schreibtisches aus an.
    »Also, wie sollen wir Miss Rabun präsentieren?«
    Wir wichen uns gegenseitig aus. »So, wie sie ist«, antwortete ich.
    »Natürlich«, stimmte er zu. Er trug dieselbe Kleidung wie damals, als er mich blutüberströmt und nackt am Bahnhof vorgefunden hatte: Sportjacke, Hose, am Kragen offenes Hemd. Ich trug Jeans, ein T-Shirt und Turnschuhe, das Übliche, wenn ich am Wochenende im Büro noch ein paar Akten durchgegangen war. Luas schaukelte auf seinem Stuhl vor und zurück. Zwei dünne Rauchsäulen stiegen von den beiden Kerzen auf dem Schreibtisch und eine aus der Pfeife in seiner Hand in die schale Luft auf. »Aber welchen Teil von ihr?«, fragte er. »Wir können nicht jeden Moment ihres Lebens abspielen. Das wäre sinnlos. Als Präsentatoren gehen wir selektiver vor. Wir müssen die Entscheidungen präsentieren, die sie getroffen hat.«
    Entscheidungen. Dasselbe Wort, das Haissem im Gericht zu Beginn seiner Präsentation von Toby Bowles verwendet hatte: »Er hat entschieden!« Was entschieden? In einer Bahnhofshalle mit Tausenden anderer Seelen zu warten, während Bürokraten den Algorithmus ihrer Ewigkeiten durcharbeiten?
    »Welche Entscheidungen wären das?«, wollte ich wissen.
    »Die Entscheidungen, von denen Jahwe einst Noah versprach, dass wir sie treffen würden«, antwortete Luas, die Pfeife zwischen die Zähne geklemmt. Er war wie besessen von Noah und der Sintflut. Alle seine Metaphern endeten schließlich damit.
    »Bist du hier gelandet, nachdem du ertrunken bist?«, fragte ich mit affektiertem Grinsen.
    »Nein. Ich wurde enthauptet.«
    Ich sah ihn skeptisch an. »Aber du scheinst einen Kopf zu haben.«
    Luas lächelte. »Nun ja, du hast ihn dorthin gesetzt, also habe ich wohl einen. Aber während meines Lebens sah ich ganz anders aus, als du mich jetzt siehst. Es gibt keine Körper in Schemaja, Brek, nur Gedanken. Du hast die Freiheit, mich so zu kleiden, wie es dir gefällt. Wenn dir der Gedanke an mich als Kombination aus den Mentoren, die du während deines Lebens geschätzt hast, nicht mehr dient, wird sich meine Erscheinung ändern.« Diese Erinnerung an die Unwiderruflichkeit meines Todes war schmerzhaft. Die meiste Zeit wirkte Schemaja wie das Leben, wie eine Art Disney World voller Wunder und

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