Was dein Herz nicht weiß
keine Schüssel Reis kaufen. Mein Vermögen ist dahin, genau wie meine Gesundheit. Ich sehe, wie meine Freunde Trost im Gebet finden – und im Alkohol, dem auch ich nie abgeneigt war, wie du weißt – , aber ich möchte meinen Freunden sagen, dass sie keine Angst vor dem haben müssen, was vor uns liegt. Ich habe keine Angst vor dem Tod, nur davor, welchen Schmerz er über meine Hinterbliebenen bringen wird. Wenn mir etwas zustößt, dann weine um mich, aber nicht zu lang, trauere um mich, aber nicht zu viel.
Du sollst wissen, dass ich mich glücklich schätze, in meinem Leben so viel Liebe erfahren zu haben – von deiner Mutter, von deinen Brüdern und dir. Besonders von dir, die immer vor mir davonläuft. Aber ich werde dich immer finden, egal, wohin du gehst. Ich werde immer ein Teil deines Lebens sein. Ich werde dich immer begleiten und behüten.
Dein dich liebender Vater
Soo-Ja saß auf dem Bett ihres Vaters und blätterte durch alte Fotoalben, als ihre Mutter in der Tür erschien. Die Mutter war ihr immer alt vorgekommen, selbst, als sie noch deutlich jünger gewesen war. Jetzt, wo sie Großmutter war, schien sie endlich die Rolle auszufüllen, auf die sie ihr Leben lang gewartet hatte. In letzter Zeit hatte sie immer dieselbe Kleidung getragen, fast wie eine Uniform: eine schwere, wattierte braune Hose, weiße Socken und eine grüne Strickjacke mit weißen Knöpfen.
»Warum hast du Geld auf meine Frisierkommode gelegt?«, fragte die Mutter.
»Für die Telefongespräche nach Seoul.«
»Das ist mehr, als ein paar Telefongespräche nach Seoul kosten«, bemerkte die Mutter und trat ein. Soo-Ja rutschte ein Stück zur Seite, damit ihre Mutter sich neben sie auf das Bett setzen konnte.
»Das ist schon in Ordnung so, Mutter. Wir wissen beide, dass ich Vater viel Geld geschuldet habe. Ich werde euch in Zukunft noch mehr schicken, jeden Monat.«
Die Mutter sah die Tochter prüfend an, als versuchte sie, ihre Gedanken zu lesen. »Quälst du dich noch immer wegen des Darlehens an diesen Nam Lee?«
»Wie könnte ich das denn vergessen? Vater musste hier wohnen. Ohne Geld. Und all das war meine Schuld.«
»Nein, Soo-Ja. Dein Vater hat alles verloren, weil er zu viel getrunken hat. Immer, wenn er nach Hause kam, warteten Verwandte auf ihn und baten ihn um Geld. Sein Bruder hat ihm seinen Namensstempel gestohlen, um an sein Konto heranzukommen. Und ein anderer Lump hat das Geld genommen, mit dem dein Vater eine Schule bauen wollte, und ist damit getürmt. Das Geld, das er deinetwegen verloren hat, fällt dagegen kaum ins Gewicht.«
Zuerst sagte Soo-Ja nichts. Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Ihr war, als drohte sie auseinanderzubrechen; ihre Schuldgefühle waren ein Teil von ihr geworden wie ihre Arme und Beine. »Ich dachte immer, er hätte sich meinetwegen ruiniert.«
»Und dein Vater hat dich in dem Glauben gelassen«, seufzte die Mutter und holte eine Tüte unter dem Bett hervor, in der sich getrockneter Beifuß und Räucherstäbchen befanden. Sie nahm eine Rolle Beifuß und presste sich ein Ende gegen den Finger, während sie das andere Ende mit einem der Räucherstäbchen anzündete. Als sie das Räucherstäbchen wegzog, klebte der erhitzte Beifuß an ihrem Finger.
Soo-Ja keuchte atemlos. »Warum hat er das gemacht? Kannst du dir vorstellen, wie entsetzlich ich mich die ganzen Jahre über gefühlt habe? Weißt du, wie schuldig ich mir vorgekommen bin?«
Die Mutter nahm noch eine Rolle Beifuß und legte sie sich auf den Zeigefinger. Der Duft von Räucherstäbchen erfüllte das Zimmer.
»Manchmal bist du so naiv, dass es mir in den Ohren wehtut. Unter seiner harten Schale hatte dein Vater einen weichen Kern. Er hatte furchtbare Angst, dich zu verlieren. Du hattest gerade erst geheiratet, und er brauchte etwas, um dich an ihn zu binden.«
Da begann Soo-Ja zu weinen. Die Mutter zündete immer neue Beifußrollen an, bis an jedem Finger der linken Hand eine klebte. Soo-Ja hatte sie oft dabei beobachtet. Der Beifuß würde langsam abbrennen und sollte sich günstig auf verschiedene Leiden auswirken. Für Soo-Ja gehörten diese Stäbchen zu ihrer Mutter wie ihre Augen oder ihre Nase, und sie würde sich noch lange nach ihrem Tod daran erinnern.
»Sei nicht zornig auf deinen Vater. Du bist jetzt selbst Mutter und kannst nachempfinden, was es heißt, wenn einem das eigene Kind langsam aus den Fingern gleitet.«
Soo-Ja betrachtete ihre Mutter, deren Gesicht von einer dünnen weißen
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