Was dein Herz nicht weiß
auf, es nannte sie übermütig bei ihrem Kosenamen und führte sie zu einem Bett aus Hyazinthen.
Als würde ihr Schweigen ihm wehtun, drückte Yul seine Stirn gegen ihre und nahm ihre Hand.
»Ich möchte ein Haus bei den Bergen für dich bauen, in einem Tal voller Maulbeerbäume.« Er sprach so zärtlich, dass Soo-Ja die Augen schließen musste. »Ich werde darauf achten, auf fruchtbarem Land zu bauen, damit wir einen Garten anlegen und im Frühjahr die Azaleen betrachten können. Wir werden die roten Datteln von den Zweigen pflücken. Das Haus soll nach Süden zeigen, dann bekommt es das ganze Jahr über genug Licht, sogar im Winter, und wenn alle anderen frieren, hast du es in deinem Zimmer schön warm. Dort kannst du Bücher lesen und dich in eine Decke aus dem weichsten Lammfell wickeln. Das Haus wird immer nach Jasmintee und Chrysanthemen duften, und jedes Zimmer wird nach deinem persönlichen Geschmack eingerichtet sein. Wir werden ein Zimmer haben, in dem du meditieren kannst, eins, in dem du dir lange, komplizierte Witze ausdenken kannst, die du nur mit mir teilst, und eins, in dem du zeichnen und malen und kalligraphieren kannst.«
Bei dieser Vorstellung musste sie lächeln. Yul beugte sich zu ihr, und ihr war, als würde die ganze Welt sie umschließen. Zart strich er mit seinen Lippen über ihre. Aber gerade, als Soo-Ja ihn küssen w ollte, wurde sie von schrecklichen Schuldgefühlen überwältigt. Sie durfte sich doch nicht ein solches Leben ausmalen, wenn sie schon so gut wie verheiratet war! Die Hochzeitsvorbereitungen waren langwierig gewesen und hatten nicht nur Min und sie einbezogen, sondern auch beide Elternpaare, die sich getroffen und miteinander geredet hatten, um ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufzubauen. Es hatte komplizierte Verhandlungen über die Mitgift, die Hochzeitsreise und die Zukunft des Brautpaars gegeben.
Aber wenn nichts davon eine Rolle spielt? Was, wenn ich einfach mit Yul durchbrenne?
Doch dann sah Soo-Ja plötzlich ein Bild vor sich: ihren eigenen Körper unter Mins, wie sie miteinander schliefen. Mins Gesicht, mit Schweißperlen auf der Stirn, und seine Augen, die vor Lust beinahe nach innen in ihre Höhlen kullerten. Da kehrten die Geräusche von der Straße zurück: das Geschnatter der Studenten, Autohupen in der Ferne, eine Türglocke. Soo-Ja schämte sich und löste sich aus Yuls Umarmung. Selbst wenn sie jetzt log und diese Nacht mit Min ein Geheimnis blieb, würde Yul in der Hochzeitsnacht alles erfahren, indem er einfach das Bettlaken inspizierte. Was sagte doch gleich die Heldin in dem Buch, das sie gerade las? Sie versuchte, sich an die Worte zu erinnern, die plötzlich so aktuell schienen. »Die Hirne von Männern sind eine Art moralisches Fliegenpapier«, oder so ähnlich. Sie hatte nicht verstanden, was die Autorin damit sagen wollte – bis jetzt.
»Ich muss nach Hause«, erklärte Soo-Ja beinahe panisch.
»Bitte, Soo-Ja!«, rief Yul. Eine fürchterliche Traurigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Sie schluckte. Sie wusste, dies war der Augenblick, an den sie immer zurückdenken und sich sagen würde: Du Närrin, du einfältige Närrin. Sie würde sich erinnern und wissen: Das war der Abend, an dem mein Leben begann, an dem ich aufhörte, die Tochter meines Vaters zu sein, an dem ich mir einen eigenen Namen machte.
Soo-Ja schüttelte den Kopf. Als sie sprach, wusste sie nicht genau, ob ihre Entschuldigung an Yul oder an sich selbst gerichtet war. »Es tut mir leid. Aber das ist einfach … unmöglich.«
5
Draußen vor dem Tempel ging langsam die Sonne unter, als Soo-Jas Yin – ihre Nacht – Mins Yang – seinen Tag – berührte. Sie kamen getrennt in traditionellen Sänften: Während Soo-Ja in einer abgeschlossenen Kabine saß, die sie vor der Welt versteckte, thronte Min auf einem offenen Holzstuhl, der von vier Männern getragen wurde. Soo-Ja trug einen grüngelben Seidenhanbok mit Puffärmeln und hatte die Arme vor dem Körper übereinandergelegt. Ihr langes schwarzes Haar war hinten zusammengebunden und mit einer Nadel festgesteckt, deren Kopf ein Drachenornament zierte. Min hatte einen hohen schwarzen Hut auf dem Kopf, der an den Seiten abgeflacht war und an ein Paar Flügel erinnerte; dazu trug er eine dunkelbraune Jacke mit zwei eingestickten Mandschurenkranichen. Seine locker fallenden Seidenhosen waren auf Wadenhöhe abgeschnitten, sodass die schwarzen Stiefel aus Stoff zur Geltung kamen.
Nachdem die Träger die Sänften
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