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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Park
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wurden alle still.
    Die Männer stellten den Hahm – die Hochzeitstruhe – auf den Boden und verbeugten sich feierlich. Die Frauen, die sich inzwischen hingesetzt hatten, erwiderten die Verbeugung. Dann nahmen die Männer ihre bootsförmigen Gummischuhe mit den nach oben gerichteten Spitzen ab und trugen die Truhe die zwei Stufen hinauf in den Raum. Sie stellten sie direkt vor Soo-Jas Mutter ab.
    Im Tausch für die Truhe gab sie den Trauzeugen einen weißen Umschlag mit Bargeld. Entgegen der üblichen Gebräuche versuchten Mins Freunde nicht zu handeln – das hatte Min ihnen vorher so eingeschärft. Auch Soo-Jas Mutter handelte nicht – Soo-Ja hatte sie zuvor darum gebeten.
    Im Bewusstsein, dass alle Augen auf sie gerichtet waren, begann Soo-Jas Mutter die dicken Baumwollschnüre, die um die Truhe gebunden waren, zu lösen. Mit den Fingernägeln puhlte sie die Knoten auf und nahm die Schnüre ab, sodass die wunderschöne rote Truhe darunter zum Vorschein kam. Sie war mit glänzenden Ornamenten aus Perlmutt verziert und hatte goldfarbene Scharniere. Die Mutter vollführte ihre Pflicht mit einer solchen Geschicklichkeit, dass man annehmen musste, sie habe ihr Leben lang dafür geübt.
    Nachdem sie die Truhe geöffnet hatte, nahm sie die Schriftrolle heraus, die von der Familie des Bräutigams geschickt worden war. In eleganter Kalligraphie stand dort geschrieben, dass Soo-Ja und Min heiraten würden, und dann wurden die vier Säulen des Bräutigams aufgelistet: das Jahr, der Monat, der Tag und die Uhrzeit seiner Geburt, die allesamt beweisen sollten, dass er unter einem guten Stern geboren war. Soo-Jas Mutter las die Daten laut vor, und die anderen nickten voller Anerkennung.
    Danach nahm sie sich die Geschenke vor, eins nach dem anderen: ein rosa Nachthemd, ein Jadearmband und einen neuen Hanbok. Lächelnd hielt sie die Präsente hoch. Ein solches Lächeln hatte Soo-Ja bis dahin nur selten auf dem Gesicht ihrer Mutter beobachtet, und sie schloss daraus, dass es ein persönlicher Triumph für ihre Mutter war: Sie hatte es geschafft, eine Tochter zu verheiraten, hatte die Pflicht einer Mutter erfüllt, endlich. Unwillkürlich musste auch Soo-Ja lächeln, denn alles an diesem Tag war so ansteckend: die Freude der Männer, der Jubel der Nachbarn, die Anerkennung ihrer Mutter. Einen Tag lang würde Soo-Ja der Himmel sein, und die Gefühle durchströmten sie wie Wolken, während ihr Wesen ständig seine Farbe änderte.

4
    Der große, quadratische Klassenraum leerte sich schnell. Mit der schwindenden Sonne färbten sich seine Holzwände dunkler, und der Betonboden fühlte sich zunehmend kälter an. Die jungen Frauen nahmen ihre Taschen und Mäntel an sich. Nur Soo-Ja blieb auf ihrer bestickten Matte auf dem Boden sitzen. Sie konnte hören, wie die Stille immer weiter in den Raum vordrang, während sie auf Yul wartete.
    Zwei Tage zuvor hatte er ihr eine Nachricht geschickt, in der er darum bat, sie sehen zu dürfen. Sie war verwundert gewesen über die plötzliche Kontaktaufnahme, denn er hatte seit Wochen nichts von sich hören lassen. Yul hatte nichts weniger als ihr Leben gerettet an diesem Abend vor dem Rathaus, aber er hatte ihr keine Gelegenheit gegeben, sich bei ihm dafür zu bedanken. Sie fragte sich, warum er den Kontakt zu ihr so lange vermieden hatte.
    Mit der Antwort an ihn hatte Soo-Ja sich etwas Zeit gelassen. Sie wusste, dass es vielleicht nicht schicklich war, wenn sie ihn bei sich zu Hause empfing, denn jetzt war sie ja verlobt. Aber er konnte sie auf dem Nachhauseweg von der wöchentlichen Zeichenstunde begleiten, und das schrieb sie ihm schließlich. Während sie auf ihn wartete, versuchte sie, ihre Nervosität zu vertreiben, indem sie sich auf die Werke konzentrierte, an denen sie gearbeitet hatte. Es waren Reispapierzeichnungen der »Vier Edlen«: Orchidee, Chrysantheme, Pflaumenblüte und Bambusblüte.
    Als kleines Mädchen hatte ihr Vater ihr beigebracht, wie wichtig Blumen waren. In vorkolonialen Zeiten gehörte es zu einer Yangban – der Erziehung eines adligen Jungen – , dass er lernte, die »Vier Edlen« zu malen, und seine Pinselstriche verrieten dabei einiges über seinen Charakter, formten ihn aber auch. Die vier Blumen mochten zart und fragil wirken, konnten aber auch eine große Kraft ausüben – indem sie einen jungen Mann Werte wie innere Stärke oder Mut lehrten.
    »Da hast du uns aber einen perfekten Ort ausgesucht«, sagte Yul und riss Soo-Ja aus ihren Gedanken. Sie sah ihm zu,

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