Was dein Herz nicht weiß
zeigen ließ.
Als sie gegangen war, sprachen Soo-Ja und Yul nicht sofort. Aber sie konnte nicht ewig so tun, als wäre sie in ihr Rechnungsbuch vertieft, und er konnte sich nicht endlos räuspern.
»Sie – Eun-Mee – hat einen Zettel mit deinem Namen und der Telefonnummer des Hotels auf meinem Schreibtisch gefunden. Da wurde sie misstrauisch, weil es ja ein Frauenname war, und ich hatte nicht gleich eine Ausrede parat. Also habe ich ihr gesagt, das wäre bloß das Hotel in Seoul, in dem wir wohnen würden. Ich weiß nicht, ob sie angerufen hat, weil sie mir nicht geglaubt hat … «
»Warum hattest du meine Telefonnummer denn auf dem Schreibtisch liegen?«, unterbrach ihn Soo-Ja schnell, da Eun-Mee jede Sekunde zurück sein konnte.
Yul gab ihr keine Antwort.
»Soo-Ja, ich verspreche dir, wir werden das Hotel so bald wie möglich verlassen. Ich weiß, das ist eine unangenehme Situation.«
Yul sah ihr direkt in die Augen und hob unvermittelt die Hand. Soo-Ja dachte schon, er würde ihr Gesicht berühren, aber er hielt in der Bewegung inne und legte die Hand schließlich auf dem Tresen ab.
»Nein, bleibt«, bat Soo-Ja. »Ich fände es schön, wenn ihr beide hier wohnen würdet. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Warum hattest du meine Telefonnummer auf dem Tisch liegen?«
Yul blickte ihr fest in die Augen. Als er endlich anfing zu sprechen, wusste sie, was er sagen würde. »Weil ich dich noch immer liebe.«
»Wieso meint der eigentlich, er könnte hier etwas umsonst kriegen? Ich kenne ihn doch kaum«, sagte Min, der neben Soo-Ja auf dem Boden lag. Sie plauderten oft noch ein bisschen vor dem Einschlafen. Meist erzählte Min ihr von den Erlebnissen seines Tages, etwa von dem Fischverkäufer, der ihm versehentlich das Doppelte für ein Pfund Seeohr hatte abknöpfen wollen, oder von dem erkälteten Bekannten, der in seine Hand geniest und sie ihm dann zur Begrüßung gereicht hatte.
»Das meint er ja gar nicht. Seine Frau hat darum gebeten«, berichtigte Soo-Ja. Sie hatte sich auf die Unterarme gestützt und betrachtete die Zimmerdecke.
Doch Min hörte nicht auf sie und fuhr fort. »Als wir zusammen in der Studentengruppe waren, hatte er nie etwas für mich übrig. Und jetzt meint er, wir wären Freunde? Er kann froh sein, wenn ich ihm mal zunicke.«
»Wie – wie war er früher so?« Soo-Ja versuchte, die Neugier in ihrer Stimme zu verbergen. Über Yul zu sprechen, war eine Art Luxus für sie. Niemand in ihrer Umgebung kannte ihn oder wusste, was er ihr bedeutete.
»Ich habe ihn eigentlich nie persönlich getroffen. Wir haben nur ein paarmal miteinander telefoniert«, erklärte Min. »Wahrscheinlich hast du mehr Zeit mit ihm verbracht als ich. Du erinnerst dich doch auch an ihn, oder?«
»Kaum. Das ist so lange her.«
»Seid ihr damals nicht zusammen zum Haus dieser Frau gefahren? Du weißt, die Frau, deren Sohn ermordet wurde? Das muss schwierig gewesen sein.«
»Eigentlich nicht. Zu dem Zeitpunkt wussten wir ja noch nicht, dass der Junge tot war.«
»Ja. Die Welt ist schlecht. Aber wir haben es gut, nicht wahr?«
»Sicher. Gute Nacht, Min.«
»Gute Nacht. Und wenn Yul abreist, soll er gefälligst ein ordentliches Trinkgeld dalassen.«
Eun-Mees Gepäck kam am nächsten Morgen, und auch am Nachmittag trudelten noch Sachen von ihr ein. Am Ende war es so viel, dass ein Teil davon im Flur vor ihrem Zimmer stand. Eun-Mee war den ganzen Tag über damit beschäftigt, in Bademantel und Duschhaube dazusitzen, nach bestimmten Dingen zu suchen und ihren gelegentlichen Besuchern ein Lächeln zu schenken. Sie holte Dutzende von Mänteln und Kleidern aus den Koffern – in allen Farben und für jede Jahreszeit – und arrangierte sie im Zimmer, als wären sie etwas sehr Kostbares. Was Soo-Ja allerdings besonders auffiel, waren ihre Schuhe – manche sahen aus, als kämen sie direkt aus Italien.
Seitdem Soo-Ja für das Stück Land in Gangnam sparte, hatte sie sich nichts mehr geleistet. Ihre Schuhe trug sie, bis sie auseinanderfielen, und wenn sie in Eun-Mees Nähe war, versteckte sie die Füße verlegen unter dem Saum ihres Kleides. Schuhe sind wichtig , hörte sie ihren Vater sagen. Worauf du stehst, ist was du bist .
Yul wohnte in einem eigenen Zimmer. Das fand Soo-Ja seltsam, aber sie sprach das Thema lieber nicht an. Schon bald wurde sie wie von Zauberhand immer wieder in seine Ecke des Flurs gelenkt, und wenn man ihre Gedanken hätte sehen können, hätte man sich wohl sehr über die elektrischen
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