Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
die er seit seiner Jugend meisterhaft beherrschte. Am Abend wollte der Stamm den Erfolg beim Verkauf der Wolle und der berühmten Al-Kassib-Pferde feiern. Außerdem wollten sie dem Enkel des Scheichs und Kronprinzen, der bald die weiße Frau heiraten würde, die mit ihm gekommen war, ihre Ehrerbietung zollen, weil sie glaubten, dass er ihnen wie immer Glück bei den Geschäften in Dschidda gebracht habe.
Auf dem Weg in die Stadt hatte Kamal Gelegenheit gefunden, seinem Großvater und seinen Onkeln die Nachricht von seiner Verlobung mit Francesca mitzuteilen. Jacques und Mauricio hatten schweigend zugehört und nichts gesagt. Er hatte ihnen nichts von seinen Absichten erzählt.
Der Scheich und seine Söhne waren aufrichtig überrascht gewesen und hatten sich besorgt gezeigt, insbesondere, weil eine junge Christin aus dem Westen eine wenig geeignete Lebensgefährtin für den zukünftigen saudischen König war. Aber sie hatten ihre Bedenken für sich behalten und ihm von Herzen gratuliert. Nicht einmal die Paradiesjungfrauen seien Francesca an Schönheit ebenbürtig, versicherten sie. Zurück in der Oase, hatte sich die Nachricht unter den Mitgliedern des Stammes wie ein Lauffeuer herumgesprochen, und in allen Zelten hatte große Freude geherrscht.
Nach dem Abendessen traten der Scheich, seine Familie und die Gäste vor das Zelt, um die Ehrenbekundungen entgegenzunehmen. In der Mitte des Lagers brannte ein großes Feuer, um das sich die Beduinen mit ihren Frauen und Kindern scharten. Als der Anführer erschien, wurde es still. Ein Mann trat einen Schritt vor und wies dem Scheich und Kamal die Ehrenplätze zu. Juliette, Francesca, Mauricio, Jacques und die Söhne des Scheichs bat er, daneben Platz zu nehmen. Dann wandte er sich an die Zuschauer und kündigte die Vorstellung an.
Als die Musik erklang, eine langsame Abfolge einförmiger, klagender Töne, die sich für Francesca unharmonisch anhörten, drehten sich die Tänzer um die eigene Achse und schwangen mit äußerster Präzision ihre Dolche durch die Luft. Francesca stockte der Atem bei der Vorstellung, einer könnte aus Versehen seinem Nebenmann den Kopf abschlagen. Während die Übrigen weiter ihre gefährlichen Bewegungen vollführten und sich die getragene Melodie wiederholte, trat einer der Tänzer vor und trug ehrenhafte Verse auf den Scheich und den Prinz der al-Saud vor.
»Das ist einer der ältesten Tänze Arabiens, die Ardha «, flüsterte Jacques Méchin Francesca zu.
»Sehr interessant«, entgegnete das Mädchen.
»Es war bestimmt eine riesige Überraschung für dich, dein Pferd hier zu sehen.«
»O ja, Jacques, Sie können es sich nicht vorstellen!«
Méchin lachte, als er sah, wie Francescas schwarze Augen vor Freude funkelten. Sie war schöner denn je mit ihrem vollen schwarzen Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte, und dem rosafarbenen Kleid, das ihr hervorragend stand. Während er sie eingehend betrachtete, versuchte er herauszufinden, was genau es war, das den nüchternen, verkopften Mauricio so verzaubert und Kamals verschlossenes Herz erobert hatte. Er kam zu dem Schluss, dass es diese seltsame Mischung aus Unschuld und Sinnlichkeit war, ihre Unbekümmertheit, wo man doch hinter diesem so weiblichen, aufreizenden Körper eine selbstbewusste, erfahrene Frau vermutete.
»Kamal hätte keine bessere Wahl treffen können«, sagte er schließlich.
Francesca sah ihn glücklich an und bedankte sich. Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Beziehung zu Kamal war Méchin wieder offen und freundlich zu ihr gewesen und nicht so ausweichend wie in letzter Zeit.
»Ihr seid jung und mutig«, sprach der Franzose weiter, mehr an sich selbst gerichtet. »Ihr werdet die Hindernisse überwinden, ich weiß es.«
»Welche Hindernisse, Jacques?«
Die Unbedarftheit des Mädchens erfüllte ihn mit Mitleid. Francesca war wie ein Schaf unter Wölfen, dachte er. Kamal würde sein kleines Lämmchen schützen müssen, damit es nicht zerfleischt wurde. Sie werden sie zerfleischen, dachte er, und bei diesem Gedanken überlief es ihn kalt.
»Francesca, du bist ein kluges, verständiges Mädchen, und zu behaupten, dass zwischen dir und Kamal alles einfach sein wird, wäre eine Beleidigung deiner Intelligenz.« Er machte eine Pause und entzündete seine Pfeife, um seine Gedanken zu sortieren. »Die Araber sind wunderbare Menschen, höflich, großzügig, vertrauenswürdig, die besten und treuesten Freunde, die man sich wünschen kann, aber sie sind auch impulsiv,
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