Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
Das war vor einer Woche, vor ihrem Rückflug nach Argentinien.«
Kamal wusste genau, dass Francesca vor einer Woche abgereist war. Sie hatte Saudi-Arabien und seiner Welt für immer den Rücken gekehrt und eine Leere in ihm hinterlassen, von der er nicht wusste, wie er damit zurechtkommen sollte. Francesca war gegangen, er würde sie nicht wiedersehen. Ohne sie hatte sein Leben keinen Sinn mehr, und weder seine Rache an Saud noch seine Zukunft als Herrscher konnten das wettmachen. Es wurde ganz still um ihn herum, und er hörte nicht, wie Jacques Méchin eine Entschuldigung murmelte und den Raum verließ. Erst später, als er in seinem Schlafzimmer allein war, traute er sich, den Umschlag zu öffnen.
Riad, der 10. Mai 1962
Mein geliebter Kamal,
ich weiß nicht, wie ich diesen Brief anfangen soll, denn mir kommt nichts anderes in den Sinn als: Ich liebe dich so sehr. Ich kann mich nicht damit abfinden, was gerade mit uns passiert, ich begreife nicht, wie unser beider Leben, von denen ich dachte, dass sie für immer miteinander verbunden seien, plötzlich unterschiedliche Richtungen nehmen. Ich kann es einfach nicht glauben.
Warum hast du mich verlassen, Kamal? Ich verstehe deine Entscheidung nicht. Du liebst mich noch, das weiß ich. Wenn ich morgens aufwache, versuche ich mir einzureden, dass alles nur ein böser Traum ist. Gleich wirst du durch die Tür kommen, mich anlächeln, wie nur du lächeln kannst, deine Augen werden vor Glück funkeln, und dann wirst du mich in deine Arme nehmen, um mich weit fortzubringen.
Du fehlst mir so sehr. Warum bestehst du auf dieser grausamen Folter? Ich sehne mich nach deinen Händen auf meiner Haut, deinem Mund auf meinem, nach den Vollmondnächten in der Wüste und unseren beiden Körpern im warmen Sand. Warum hast du mir das Paradies gezeigt, um mich jetzt in die finsterste Hölle zu stoßen?
Ich will ehrlich zu dir sein. Ich möchte nicht für mich behalten, was ich empfinde, und eines Tages bereuen, dir diese Dinge nicht gesagt zu haben. Ich frage mich, ob es mir gelingen wird. Ich war so glücklich mit dir, und es ist ein schrecklicher Gedanke, dass ich nie mehr glücklich sein werde. Warum sollte ich glauben, dich für immer verloren zu haben? Ich kann mich nicht damit abfinden, Kamal. Komm zu mir zurück. Du weißt, dass ich auf dich warte, mein ganzes Leben lang werde ich auf dich warten.
Bevor ich diesen Brief beende, möchte ich dir noch eines sagen: Wenn du mich von dir fernhältst, um mein Leben zu beschützen, wenn du es tust, weil du befürchtest, mir könnte wegen deiner Familie etwas Schlimmes zustoßen, dann sterbe ich lieber, als zu wissen, dass ich dich nie wiedersehen werde. Denn bis es so weit sein sollte, werde ich mit dir glücklich sein und nicht so am Boden zerstört wie jetzt. Lass mich selbst mein Schicksal wählen.
Ich liebe dich.
Dein für immer,
Francesca
P.S.: Ich möchte, dass du Rex behältst und jedes Mal, wenn du ihn siehst, an den Abend in der Oase zurückdenkst.
Kamal ließ sich aufs Bett fallen, den Brief auf der nackten Brust. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und heiße Tränen rannen über seine Wangen.
»Francesca …«, murmelte er. »Mein Liebling.«
20. Kapitel
Francesca nahm Marinas Einladung an, vor der Rückreise nach Córdoba noch einige Tage in Genf zu verbringen. Marinas Gesellschaft würde ihr guttun; es gelang ihr immer, sie aufzumuntern.
Es tat Francesca gut, ihr Herz ausschütten und von ihrer bitteren Erfahrung erzählen zu können. Endlich konnte sie in Marinas Armen weinen, wie sie es nicht gekonnt hatte, seit Kamal sie verlassen hatte. Doch ihr Herz blieb gebrochen. Die Vorstellung, dass Kamal in Zukunft nur noch eine Erinnerung sein sollte, ein Name, ein Bild, das mit der Zeit verblasste, wollte sie nicht akzeptieren. Sie fragte sich, wie sie zum täglichen Einerlei übergehen sollte, nachdem ihr das Leben mit ihm wie ein endloses Abenteuer erschienen war. Wie sollte sie verhindern, dass sie in jedem Mann nur ihn sah, dass die Küsse der anderen nach seinen Küssen schmeckten? Sie würde den Geruch seines Parfüms und den Klang seiner Stimme in der Menge suchen, sie würde nur darauf warten, dass das Telefon klingelte und der Briefträger kam. Tag und Nacht würde sie an ihn denken müssen. »Niemand stirbt aus Liebe«, hatte Kamal gesagt, aber sie wusste genau, dass dieser bohrende Schmerz sie am Ende umbringen würde.
»Ich kann mir vorstellen, dass das, was dir passiert ist, sehr traurig
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