Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
werde. Es wird eine saubere Sache sein.«
»Und was bleibt dir, wenn du Saud vernichtet hast?«
»Das weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht in Frieden leben kann, bis ich ihn vernichtet habe. Es wird ein langsamer, qualvoller Tod sein – ich werde ihn nach und nach zerstückeln, wie er es mit mir versucht hat und mit dem, was ich am meisten liebe.«
Am frühen Nachmittag hielt Jacques vor dem Anwesen in Dschidda. Sadun empfing ihn, aufrichtig erfreut, ihn zu sehen.
»Herzlich willkommen, Monsieur Méchin! Der Herr Kamal wird glücklich sein, Sie zu sehen. Wissen Sie, ich mache mir Sorgen um den Herrn. Er sieht sehr schlecht aus. Er ist wortkarg und verschlossen wie immer, aber sein Herz ist traurig. Er isst praktisch nichts. Das Licht in seinem Zimmer brennt bis spät in die Nacht, und wenn er es dann endlich ausmacht, höre ich ihn bis zum Morgengrauen im Zimmer auf und ab gehen. Manchmal schaue ich aus meinem Fenster und sehe ihn im Garten stehen und rauchen, den Blick in den Himmel gerichtet. Er raucht viel, wo er doch immer ein mäßiger Raucher war. Sie werden es nicht glauben, aber er weigert sich, Besuch von seiner Mutter und den Mädchen zu empfangen. Und Sie wissen doch, wie gerne er sie immer um sich hatte! Tagsüber reitet er auf Pegasus aus, diesem verrückten Pferd, und bleibt stundenlang verschwunden. Manchmal mache ich mir Sorgen, wenn er erst nachts völlig erschöpft zurückkommt. Was ist nur mit meinem Herrn los, Monsieur Méchin? Wir dachten, wir würden ihn nach der Hochzeit mit der Argentinierin wiedersehen, aber kein Zeichen von ihr, und ich traue mich nicht, zu fragen.«
»Die Argentinierin ist in ihre Heimat zurückgekehrt, Sadun. Jetzt bring mich zu Kamal, ich muss ihn unbedingt sehen.«
Er fand ihn in seinem Arbeitszimmer, den Koran in der einen, seine masbaha in der anderen Hand. Als Kamal ihn in der Tür stehen sah, ging er ihm entgegen und umarmte ihn.
»Was machst du denn hier? Ich weiß doch, dass du Dschidda nicht magst.«
»Ich habe nichts mehr von dir gehört, seit du Riad vor zwei Wochen verlassen hast. Ich wollte dich sehen. Ich habe dich vermisst.«
Die aufrichtige Antwort des sonst so zurückhaltenden Franzosen klang sonderbar in Kamals Ohren, und er lächelte.
»Du bist gefühlsduselig geworden«, sagte er und bat Sadun, etwas zu essen und zu trinken zu bringen.
Sie unterhielten sich über dies und das. Kamal war bemüht, sich von seiner witzigen Seite zu zeigen, aber Méchin kannte ihn zu gut, um nicht zu merken, wie aufgewühlt er war. Er wirkte eingefallen und hager, hatte sich seit Tagen nicht rasiert und brauchte einen neuen Haarschnitt.
»Eigentlich bin ich hergekommen, weil ich wissen will, wie es dir geht.«
Kamal ließ die Maske aufgesetzter Heiterkeit fallen und richtete seinen Blick auf Méchin, der trotz ihrer langjährigen Vertrautheit den Zorn des Prinzen fürchtete. Kamal wurde nicht wütend und wirkte auch nicht unangenehm berührt, aber er gab keine Antwort. Schließlich stand er auf, ging ein paar Schritte und fragte dann: »Hast du sie gesehen, bevor sie abgereist ist?«
»Warum willst du dich quälen? Was bringt es dir, von ihr zu hören? Du wirst nur noch mehr leiden.«
»Hast du sie gesehen?«, fragte Kamal noch einmal, ruhig, aber bestimmt.
»Ja.«
»Wie ging es ihr?«
»Sie war am Boden zerstört.«
Kamal, der Méchin den Rücken zuwandte, umklammerte sein Glas und schloss die Augen. Ein Schlag in die Magengrube hätte ihm nicht so wehgetan wie dieser Satz.
»Sie liebt dich aus tiefstem Herzen.«
»Weshalb sagst du das so vorwurfsvoll?«, erregte sich Kamal. »Hattest nicht du mir geraten, sie zu verlassen?«
»Vielleicht habe ich mich geirrt«, gestand Jacques ein und blickte zu Boden.
»Alle scheinen sich geirrt zu haben. Du, meine Mutter, mein Onkel Abdullah, das ganze saudische Volk, der Koran. Aber den größten Fehler habe ich gemacht, weil ich sie weggeschickt und zugelassen habe, dass man sich in mein Leben einmischt. Sie hat mir vertraut, sie hat sich mir hingegeben und viel durchgemacht meinetwegen, und ich habe sie verstoßen wie einen Gegenstand, den man nicht mehr haben will. Ich bin schuld, dass es ihr schlechtgeht, wo es doch in Wahrheit nichts Wichtigeres für mich gibt als sie.«
Méchin trat zu ihm und reichte ihm einen Umschlag. Kamal sah ihn überrascht an.
»Was ist das?«
»Ein Brief. Francesca hat mich gebeten, ihn dir zu geben, als ich sie das letzte Mal sah.
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