Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
des Sklaven leben, ohne unter diesem Zustand zu leiden und die Gefühle zu kennen, die ihn nun Tag und Nacht quälten.
Er war versucht, zu Francescas Zimmer zu gehen und sie zu bitten, mit ihm zu fliehen. Er hatte Fluchtgedanken, seit er vor dem improvisierten Altar im Arbeitszimmer seines Vaters »Ja« gesagt hatte, als hätten ihm die Zeremonie und die anschließende Feier das wahre Ausmaß der Verpflichtung vor Augen geführt, die er sich auf die Schultern geladen hatte. Irgendwie hatte er bis zum letzten Moment an der Illusion festgehalten, dass sich die Sache mit Dolores lösen würde und er sie nicht heiraten müsse. Er lächelte verbittert und nannte sich selbst einen feigen Idioten. Dann warf er die Zigarette zu Boden und trat darauf herum, bis sie nur noch aus einzelnen Bröseln bestand.
Er ging durch den Garten zur Küche. Die Kellner und Hausmädchen bemerkten seine Gegenwart gar nicht. Er schlich durch den Flur zum Dienstbotentrakt und ging ohne anzuklopfen in Francescas Zimmer. Es war leer. Er drehte um und kehrte zur Feier zurück, wo er Sofía beiseitenahm.
»Sag mir, wo Francesca ist!«
»Wozu? Damit du sie noch mehr quälst, als du es schon getan hast?«, gab das Mädchen zurück. »Ich werde es dir nicht sagen.«
»Du bist meine Schwester, Sofía, du bist es mir schuldig. Sag mir, wo sie ist! Ich muss mit ihr reden, sie um Verzeihung bitten.«
»Dafür ist es nun zu spät.«
Aldo packte sie grob am Arm und schüttelte sie leicht.
»Mir ist nicht nach Geplänkel zumute. Sag mir, wo sie ist, oder ich schreie Francescas Namen hier im Salon heraus.«
Sofía lächelte amüsiert und zuckte mit den Schultern.
»Nichts würde mir mehr Spaß machen, als wenn du hier im Salon herumbrüllst und Mama die Feier ruinierst.«
Bei Antonina verfehlte Aldos Drohung ihre Wirkung nicht. Die Köchin wurde blass und musste das Gläsertablett auf einem Tisch abstellen.
»Señor Aldo, ich bitte Sie, was reden Sie da? Nach meiner Tochter wollen Sie rufen, hier? Beharren Sie nicht länger und lassen Sie sie in Ruhe, zu Francescas und Ihrem eigenen Besten. Sie haben gerade geheiratet – Sie wollen doch nicht durch eine solche Dummheit Ihre Ehe aufs Spiel setzen?«
»Meine Ehe interessiert mich einen Dreck. Ich zähle jetzt bis fünf, und wenn Sie mir dann nicht sagen, wo Francesca ist, fange ich an zu brüllen. Eins, zwei …«
»Señor Aldo, um Himmels willen, haben Sie den Verstand verloren?«
»Drei, vier …«
»In Ordnung, in Ordnung«, gab Antonina nach.
»Und lügen Sie mich nicht an«, drohte Aldo. »Sonst komme ich zurück und mache meine Ankündigung wahr.«
»Sie ist bei ihrem Onkel Fredo«, gab Antonina schließlich zu.
»Ich kenne das Haus. Ich habe meinen Vater mal hingefahren. Aber ich weiß nicht, welche Wohnung es ist.«
»Appartement 6 B«, setzte Antonina hinzu und ging in Richtung Küche davon.
Aldo nahm ein Glas Champagner und trank es in einem Zug leer, dann noch eines und noch eines, bis es seinem Vater auffiel, der ihn vom anderen Ende des Salons beunruhigt beobachtete. Die Geschwindigkeit, mit der sich sein Sohn betrank, war dem Anlass nicht angemessen. Er wusste, dass Celia und Carmen einen gewissen Druck ausgeübt hatten, die Hochzeit vorzuverlegen, insbesondere nachdem herausgekommen war, dass Aldo und Dolores miteinander geschlafen hatten. Aber er war sicher, dass sein Sohn verliebt war, und begriff nicht, warum er so verzweifelt aussah. Er würde ihn in die Küche bringen und Rosalía um eine Tasse starken Kaffee bitten.
Esteban folgte Aldo in den Garten und weiter bis hinters Haus, wo sich die Garagen befanden. Er traute seinen Augen nicht, als er sah, wie sein Sohn rasch in seinen Sportwagen stieg und mit Vollgas das Anwesen verließ.
***
Francesca wälzte sich schlaflos im Bett herum. Im Leben nicht hätte sie gedacht, dass ihre Liebe zu Aldo so enden würde. Der Zauber aus Arroyo Seco war verflogen, und nun fühlte sie sich schuldig und wertlos. Es war alles ein Trugbild gewesen, das nur sie gesehen hatte. Jetzt würden Aldo und Dolores schon Mann und Frau sein, und das Fest befand sich auf dem Höhepunkt. Francesca war sicher, nie mehr glücklich sein oder sich neu verlieben zu können. Sie hasste Aldo – nicht nur, weil er sie verletzt hatte, sondern weil er aus ihr eine verbitterte Frau gemacht hatte.
Als es an der Tür läutete, beschloss sie, abzuwarten, bis ihr Onkel Fredo aufstand und diesen Witzbold rauswarf, der sich mitten in der Nacht einen Streich
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