Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
Monsieur Méchin?«
»Weil ich dieses Land liebe«, seufzte Méchin. »Als ich zum ersten Mal herkam, war ich als Archäologiestudent Mitglied einer Forschungsgruppe, die sich vorgenommen hatte, der Kreuzfahrerroute zu folgen. Als wir das Rote Meer erreichten, gerieten wir in Schwierigkeiten: Man stahl uns einen Großteil der Ausrüstung und zerstörte die beiden Jeeps, das einzige Transportmittel, das wir besaßen. Ein Beduinenstamm half uns. Wir lebten ein paar Wochen bei ihnen. Sie zeigten uns die Wüste und ihre schönsten Oasen. Wir teilten ihr Essen und lernten ihre Gebräuche und ihre Religion kennen. Als die Forschungsgruppe nach Paris zurückkehrte, beschloss ich, noch eine Zeitlang zu bleiben. Ich bin jedoch nie mehr nach Paris zurückgegangen. In Ta’if, einer der schönsten Städte Arabiens, lernte ich Abdul Aziz kennen. Ich bin zum Islam konvertiert und habe die aufrichtigste und dauerhafteste Freundschaft meines Lebens geschlossen. Ich wollte mich nicht mehr von Abdul Aziz trennen. Wenig später gründete er das Königtum Saudi-Arabien und ernannte mich zu seinem Wesir. Da kommt Kamal«, sagte er dann, und Francescas Herz machte einen Satz.
Sie suchte ihn unter den Leuten, die am Büfett standen, doch Méchin deutete einige Schritte weiter: Kamal forderte gerade Valerie Le Bon zum Tanz auf. Hand in Hand gingen sie zur Tanzfläche, wo Kamal seinen Arm um Valeries Taille legte. Valerie schlang ihren Arm um den Hals des Arabers. An dem Lächeln auf al-Sauds Gesicht und seiner redseligen Laune merkte man, dass sie den Augenblick genossen. Valerie schien glücklich zu sein, seine starken Arme um sich zu spüren.
»Ich dachte, Kamal würde gar nicht kommen«, bemerkte Méchin. »Er ist gerade erst aus Kuwait zurück. Kalif al-Sabah hat ihn eingeladen, ein paar Tage in seinem Palast am Golf zu verbringen. Die al-Sabah sind die Herrscherfamilie von Kuwait und den al-Saud freundschaftlich verbunden.«
»Wenn Sie mich entschuldigen, Monsieur Méchin, ich muss mich kurz frischmachen.«
Méchin begleitete sie bis in den Flur und kehrte dann auf das Fest zurück, wo er sich zu dem Botschafter und Le Bon gesellte. Francesca erfrischte sich das Gesicht und richtete ihre Frisur. Als sie in den Salon zurückging, fühlte sie sich etwas besser, aber der Zigarettenrauch, das unermüdliche Stimmengewirr und die Fröhlichkeit, die alle außer ihr anzustecken schien, trieben sie auf die Veranda hinaus. Sie glitt durch eine der Flügeltüren, stützte die Ellbogen auf die Balustrade und legte die Hände vors Gesicht. Besser so, dass er mit Valerie tanzte, sagte sie sich und schaute in den sternenklaren Himmel hinauf. Allmählich ließ der Anblick sie Kamal al-Saud und Valerie Le Bon vergessen. Wie gebannt blickte sie in die Nacht hinein, ohne Zeitgefühl und ohne die ausgelassene Stimmung wahrzunehmen, die durch die Verandatüren drang.
»Eine wunderbare Nacht«, sagte plötzlich jemand hinter ihr. Obwohl sie zuerst erschrak, erkannte sie al-Sauds Stimme sofort.
»In meinem ganzen Leben habe ich keine schönere gesehen«, versicherte sie, ohne sich umzudrehen.
Kamal trat an die Balustrade, und sein Duft hüllte sie ein wie ein Mantel. Er stützte die Hände auf das Geländer, und Francesca betrachtete sie verstohlen: Sehnig und dunkel, mit langen Fingern und kräftigen Nägeln, ging von diesen Händen eine harmonische Verbindung von Schönheit und Stärke aus. Er trug eine goldene Uhr und einen diskreten Siegelring am linken kleinen Finger.
»Ich bin schon vor einer ganzen Weile gekommen und habe Sie überall gesucht«, bemerkte Kamal.
»Ach ja?«, entgegnete Francesca, den Blick in den dunklen Park gerichtet.
»Sie wirken verärgert heute Abend«, stellte Kamal fest und verzog den Mund. »Ich glaube, Sie wollen lieber allein sein. Besser, ich kehre auf das Fest zurück. Entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrer Ruhe gestört habe.«
Francesca drehte sich zerknirscht um.
»Es tut mir leid, Hoheit. Es war unhöflich von mir, wenn Sie durch mein Verhalten den Eindruck gewonnen haben, dass mir Ihre Gesellschaft unangenehm wäre.«
Sie blickte ihm in die Augen, und die Welt verstummte: Es gab nur noch sie und den Prinzen, der sie ansah, ohne mit der Wimper zu zucken. Francesca hatte das Gefühl, dass um sie herum ein überwältigendes, flirrendes Vakuum entstand. Kamals fester Blick hynotisierte sie, und obwohl sie darum rang, die Kontrolle wiederzuerlangen, war sie wie durch eine innere Kraft an diesen Zauber
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