Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
Malik erzählte.«
»Die, die Probleme mit der Religionspolizei hatte?«
Saud nickte, dann schwieg er wieder. Seine Gedanken kreisten in einem Strudel von Plänen und Ideen, die nur ein Ziel kannten: Kamal auszuschalten. Er wusste genau, dass die Familie seinen Bruder gebeten hatte, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, und er wusste auch, dass Kamal nur deshalb noch nicht zugestimmt hatte, weil er absolute Kontrolle über die wichtigsten Ressorts des Landes forderte. Wenn es so weit kam, würde er selbst nur noch eine Marionette sein, ein Repräsentant des Landes ohne Macht und Mitsprache. Und von dort bis zu der Forderung an ihn, ganz abzudanken, war es nur noch ein kleiner Schritt.
»Francesca de Gecco, oder?«, fragte Saud plötzlich.
»Wie bitte?«
»Dubois’ Sekretärin. Sie heißt doch Francesca de Gecco?«
Tariki sah ihn verständnislos an. Er hatte Kamal, Dubois und seine Sekretärin schon vergessen; zu schwer wogen die Probleme, mit denen er zu kämpfen hatte. Die nächste Versammlung der OPEC und deren Pläne, Quoten für die Erdölförderung festzulegen, bereiteten ihm schlaflose Nächte. Ihm war klar, dass es ein ehrgeiziges Ziel war, von dem er noch nicht wusste, wie es zu verwirklichen wäre. Die Einigung auf einen fairen Rohölpreis war ihm ein weiteres Anliegen, das in engem Zusammenhang zu dem ersten stand. Doch trotz der Probleme, die dieses Vorhaben mit sich brachte, war Tariki zuversichtlich: Die bedingungslose Unterstützung durch den saudischen König und den venezolanischen Präsidenten verliehen ihm die politische Macht, die für dieses Projekt nötig war. Und auch wenn er Schah Reza Pahlavi nicht völlig vertraute, weil er wusste, dass dieser ein Verbündeter des Westens war, gaben ihm die vorsichtigen Schritte des Schahs in Richtung einer lohnenderen Preispolitik Hoffnung, dass er sich in Kürze auf die Seite Saudi-Arabiens stellen würde.
Und während er sich über all diese Dinge den Kopf zerbrach, dachte Saud an nichts Wichtigeres als an Dubois’ Sekretärin. Was zum Teufel hatte der bloß im Kopf? Tariki ging Sauds Rivalität mit seinem Bruder Kamal allmählich auf die Nerven. Im Grunde schätzte er den Prinzen nämlich, den er von klein auf kannte. Er unterhielt sich gerne mit ihm, denn Kamal besaß profunde Kenntnisse in weltpolitischen Angelegenheiten. Saud dagegen war mehr daran gelegen, Geld auszugeben – Weltpolitik hatte er noch nie mit einem Wort erwähnt. Obwohl Kamal gegen das Ölkartell war, war Tariki überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit ihm leichter gewesen wäre. Manchmal lastete der Entscheidungsdruck schwer auf ihm, und es gab niemanden, mit dem er ihn teilen konnte. Saud beschränkte sich darauf, Beschlüsse und Gesetze unbesehen zu unterschreiben.
»Sie ist bildhübsch«, redete Saud weiter. »Ihre Haut sieht aus wie aus Alabaster. Kamal wirkte wirklich interessiert.«
»Du weißt doch, dass dein Bruder seine Frauen wechselt wie du deine Autos. Sie wird eine weitere seiner Eroberungen sein, die er bald wieder sitzenlässt.«
»Du hättest sie sehen müssen. Sie hat das Gesicht eines Engels und den Körper einer Göttin. Man kann ihr nicht widerstehen. Ich kenne meinen Bruder«, beteuerte der König. »Ich weiß, dass er verrückt nach Dubois’ Sekretärin ist.«
»Mach dir nichts vor, Saud. Du kennst deinen Bruder überhaupt nicht. Niemand kennt ihn. Er ist abweisend wie eine Festung, man weiß nie, was er denkt, und du schon gar nicht.«
Ja, Kamal war klug und umsichtig. Er sprach wenig und hörte genau zu. Bei Debatten schien er sich unsichtbar zu machen, um dann irgendwann eine Überlegung einfließen zu lassen, die die meisten sprachlos machte. Er war ein geduldiger und aufmerksamer Zuhörer – selbst wenn er kurz abgelenkt zu sein schien, entgingen ihm kein Wort und kein Detail. Es war unmöglich, seine Miene zu durchschauen. Man wusste nie, was er von einer Person, einer Sache oder einer Entscheidung hielt. Eines musste Saud neidlos anerkennen, so schwer es ihm auch fiel: Kamal war das getreue Ebenbild seines Vaters, jenes mutigen Beduinen und Landesgründers, der als kluger Staatsmann von den Weltmächten gefürchtet und geachtet worden war, als Anführer vom Volk verehrt.
Saud selbst sah sich weit entfernt von dieser Beschreibung: Es fiel ihm schwer, seine Gefühle zu verbergen, nur ungern beschäftigte er sich mit Staatsfragen, und auch nach acht Jahren an der Macht erfüllte er nicht alle Erwartungen, die man als König in ihn
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