Was deine Augen sagen: Roman (German Edition)
hatte, was sie eigentlich hier machte.
Es schienen Jahre seit dem Morgen vergangen zu sein, als Malik sie am Flughafen von Riad abgeholt hatte. Sie hatte sich daran gewöhnt, fünfmal am Tag den Gebetsruf des Muezzins zu hören und die abaya zu tragen, sie aß Lammfleisch und trank Ziegenmilch und es schmeckte ihr. Sie begann, das Hauspersonal zu verstehen, wenn es Arabisch sprach. Die wichtigsten Straßen, Plätze und Gebäude der Stadt waren ihr vertraut; sie ließ es zwar vorsichtshalber bleiben, aber sie hätte allein ins Stadtzentrum von Riad gehen können, ohne sich zu verlaufen. Die Gerüche und das Gedränge auf dem Bazar störten sie nicht mehr, und sie hatte gelernt, die hartnäckigen Verkäufer und die Kinder abzuschütteln, die an ihrem Umhang zupften. Selbst Maliks unfreundliche Art störte sie nicht mehr.
Mitte Januar hatte sie immer noch nichts von Aldo gehört. Eigentlich war sie erstaunt über sein Schweigen. Sie nahm an, dass es zwischen ihm und Dolores besser lief, dass sie nicht mehr stritten und nicht länger in getrennten Zimmern schliefen, und wer wusste, womöglich erwarteten sie ein Kind. Dieser Gedanke machte sie nicht traurig, aber auch nicht gerade glücklich. Es war diese Widersprüchlichkeit, die sie beunruhigte.
Der Januar verlief ohne größere Neuigkeiten, und der Februar begann mit guten Aussichten. Deshalb wusste sie nicht, ob sie sich freuen oder Sorgen machen sollte, als Dubois ihr mitteilte, dass sie geschäftlich nach Dschidda reisen und im Haus von Prinz Kamal wohnen würden. Seit dem Fest in der französischen Botschaft hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Kamal al-Saud war wie ein geschickter Dieb, der immer wieder in ihrem Leben auftauchte und alles durcheinanderbrachte, um dann wieder zu verschwinden und sie mit klopfendem Herzen zurückzulassen wie ein verliebtes Mädchen. Sie hatte ihm einfach nichts entgegenzusetzen. Sein Verhalten ärgerte sie, diese offensichtliche Verführung, die dann in Gleichgültigkeit umgeschlagen war. Sie hatte keineswegs die Absicht, ihn wiederzusehen. Sie wollte ihre Ruhe haben.
Francesca kam zu dem Schluss, dass es sinnvoller wäre, wenn sie in Riad blieb und sich um die Belange der Botschaft kümmerte. Diesem Vorschlag widersetzte sich Dubois jedoch mit ungewohnter Entschiedenheit. Die Aussicht auf ein Treffen mit einer Delegation italienischer Geschäftsleute setzte der Diskussion schließlich ein Ende.
»Ich spreche kein einziges Wort dieser verflixten Sprache. Wenn es mir gelingt, ein Treffen mit den Italienern auszumachen, wirst du bei den Gesprächen von entscheidender Bedeutung sein. Außerdem lernst du Dschidda kennen, die Stadt, die dir bei der Recherche für den Bericht, den ich kurz nach deiner Ankunft von dir anforderte, so viele schlaflose Nächte bereitet hat.«
***
Am Tag nach dem Empfang in der französischen Botschaft fehlte Kamal bei der Zusammenkunft im Haus seines Bruders Faisal. Bei dem geheimen Treffen sollte es um die Inflation, das Währungssystem, die wirtschaftliche und die finanzielle Lage des Landes gehen, drängende Fragen, die nach unmittelbaren Lösungen verlangten. Doch Kamal verließ Riad mitten in der Nacht und fuhr zu seiner Residenz in Dschidda. Er raste in seinem Jaguar durch die Wüste des Nedschd und die Region Hedschas, wo er anhielt, um in Mekka zu beten, das um diese Jahreszeit voller Pilger war. Als die Sonne am Horizont aufging, erreichte er Dschidda.
Als er durch das Tor seines Anwesens fuhr, erfüllte ihn eine innere Ruhe, nach der er so verzweifelt gesucht hatte. Es fiel ihm schwer, mit diesem ungewohnten Gemütszustand zurechtzukommen, den er nicht einmal definieren konnte. Es war weder Trauer noch Freude, weder Begeisterung noch Niedergeschlagenheit. Es war alles zugleich, und diese Verwirrung machte ihn wütend, denn zum ersten Mal war er nicht Herr seiner selbst.
Im Haus bat er um eine Tasse starken Kaffee und gab Anweisung, sein Pferd zu satteln. Er tauschte das weite Gewand gegen eine dunkelblaue Hose und ein weißes Seidenhemd, die Sandalen gegen hohe Schaftstiefel, und wählte eine leichtere, beigefarbene Kopfbedeckung. Im Salon sitzend, trank er in Ruhe seinen Kaffee, während Sadun, der Hausverwalter, ihm berichtete, was es Neues gab. Dann ging er zu den Stallungen. Die Stallburschen begrüßten ihn mit einer Verbeugung. Sie freuten sich aufrichtig, ihn zu sehen; Kamal hatte ihnen lange keinen Besuch mehr abgestattet.
Im Stall erwartete ihn sein Pferd Pegasus, ein stolzer,
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